Wort für den Monat April 2003

Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist.  (Römer 12,2)

Eine Zeitungsnotiz hat mich neulich stutzig gemacht: Da bezeichnet sich der amerikanische Präsident Bush als wiedergeborenen Christen. Ähnlich habe ich das wiederholt von Freikirchlern gehört.

Was ist denn das, "wiedergeboren"? Wohl dasselbe, was man in meiner Jugend "bekehrt" genannt hat: Ich habe mich zu Christus "bekehrt", hingewendet und ihn als "meinen Gott und Heiland anerkannt", wie es in der Pariser Basis heißt.

Damals habe ich Menschen kennen gelernt, die konnten eine eindrucksvolle Bekehrungsgeschichte erzählen: Einen Alkoholiker, der erst sein Haus versoffen hatte, vom Alkohol wieder losgekommen war und mir stolz sein neues Haus zeigen konnte. Oder einen vorbestraften Mörder, der Evangelist geworden war.

Ich kann so eine Vorzeigestory nicht erzählen. Deshalb hat es mir sehr geholfen, als mir ein älterer Freund gestand: "Ich habe mich nicht bekehrt, sondern bin in den Glauben hineingewachsen." Ich muss nicht erst kaputt gegangen sein, damit Christus mich retten konnte. Es ist doch besser, gleich als heiler Mensch aufzuwachsen und ins Heil hineinzuwachsen.

Trotzdem habe auch ich mich bewusst für Christus entschieden. Aber ist das schon eine Wiedergeburt? War es eine Wiedergeburt, den der Alkoholiker und der Mörder erlebt haben? Ich kann nicht für andere Leute sprechen, aber bei mir war das nur eine Etappe einer Entwicklung, die nach 46 Jahren bis heute noch nicht abgeschlossen ist.

Von einer solchen Entwicklung schreibt Paulus im Römerbrief, aus dem der Monatsspruch stammt: Abkehr von der Gottlosigkeit – Umgestaltung und Erneuerung unserer inneren Einstellung. Konkret heißt das nach Paulus: nicht irgend was Absurdes glauben, sondern nach Gottes Willen leben. "Prüfen" ist eigentlich zu wenig. Das griechische Wort bezeichnet nicht nur das Forschen und Nachfragen, sondern auch das Billigen und Anerkennen. Wir müssten also übersetzen: "Damit ihr für gut befinden könnt, was Gottes Wille ist."

Was ist aber Gottes Wille? Das verschweigt uns der Monatsspruch, steht aber in der Fortsetzung des Spruchs im Römerbrief, sogar im selben Vers: "das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene". Dazu brauchen wir nicht wie kleine Kinder Gebote und Vorschriften, sondern Paulus traut uns als mündigen Christen zu, das von Fall zu Fall selbst herauszufinden. Ein Kapitel später (13,8-14) trägt der Apostel nach: "Seid niemand etwas schuldig, außer dass ihr einander liebt. Wer liebt, erfüllt den Willen Gottes". So einfach und so schwer ist es, Christ zu sein.

Auch "stellt euch nicht der Welt gleich" und "ändert euch" ist nur ungenau übersetzt. Wörtlich ist da von einer "Mitgestaltetwerden" mit der gottlosen Welt und einer "Umformung der Gesinnung" die Rede. "Gestalt" und "Form" sind zwei verschiedene Wörter und im Sinn etwa dasselbe. Paulus meint also, was er an anderer Stelle schreibt: Nehmt nicht Gestalt und Wesen der gottlosen Welt, sondern von Christus an, werdet wie Christus, nehmt euch Christus zum Vorbild.

Das ist nicht die Sache eines Augenblicks, nicht die Sache einer einmaligen Bekehrung oder Wiedergeburt, sondern eine Lebensaufgabe. Vielleicht ist es sogar anmaßend, zu sagen "Ich hab's. Ich bin bekehrt. Ich bin wiedergeboren." Paulus selbst war da viel bescheidener: "Nicht dass ich's schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei; ich jage ihm aber nach, vielleicht kann ich's ja noch ergreifen, weil ich von Jesus Christus ergriffen bin." (Philipper 3,12). Das ist wie beim Fangspiel auf dem Schulhof: Christus hat mich abgeklatscht, jetzt muss ich versuchen, ihn zu fangen. Er hat mich, aber ich habe ihn noch nicht.

Darum will ich versuchen, das zu werden, was ich bin.

Heinrich Tischner