Wort für den Monat Juli 2006

Jesus Christus spricht: Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen. (Johannes 6,37)

Liebe Leserin, lieber Leser,

Zoff unter Christen sollte eigentlich nicht sein, gibt es aber trotzdem. Heute wie zu allen Zeiten. Schon die Apostel hatten Meinungsverschiedenheiten untereinander (Galater 2,11-14) und mit Jesus (Markus 8,31-33).

Im Johannesevangelium macht der Evangelist Johannes mobil gegen den Apostel Johannes, von dem die Offenbarung stammt: Dieser spekulierte auf einen Ministersessel im Reich Gottes (Markus 10,35-37) und war bekannt als Hitzkopf, der mit dem Gedanken spielte, Feuer vom Himmel fallen zu lassen (Lukas 9,54). Jesus gab ihm und seinem Bruder den Namen "Donnersöhne" (Markus 3,17), alles ganz passend zum Verfasser der Offenbarung, der Feuerregen und himmlischen Thronen liebt.

Was hatte der Evangelist am Apostel auszusetzen? Nicht nur dessen gewalttätigen Machtphantasien. Sondern vor allem, dass der Apostel nichts von der Gegenwart und alles von der Zukunft erwartete, etwa die Totenauferstehung und das Weltgericht am Jüngsten Tag (Offenbarung 20,11-15). Dagegen der Evangelist: Wir haben das Heil schon jetzt. Wer an Jesus glaubt, hat jetzt schon das ewige Leben (Johannes 11,25) und kommt nicht in das Gericht (Johannes 5,24), ja mehr noch: Jesus will nicht die Welt richten, sondern retten (Johannes 3,17; 12,47).

Und Jesus? Der steht irgendwo dazwischen. Er hat Worte und Bilder gebraucht, die man im Sinne der Offenbarung deuten konnte, anders hätte man ihn wohl nicht verstanden. Denn viele seiner Zuhörer dachten wie der Apostel in der Offenbarung. Aber was er wirklich meinte, entspricht eher dem, was im Johannesevangelium steht.

Als ich mir Gedanken über den Monatsspruch machte, fiel mir auf, dass auch er im Widerspruch zu anderen Auffassungen steht: "Weil du weder kalt noch warm bist, will ich dich aus meinen Mund ausspucken" wie abgestandenes Wasser. (Offenbarung 3,16). Ähnlich in einigen Gleichnissen (Matthäus 22,13; 25,12) und in der Bergpredigt (Matthäus 7,21-23).

Auch da steht der sanfte Jesus des Johannesevangeliums gegen den strengen der anderen Überlieferung. Der eine Jesus nimmt jeden, der kommt, der andere schmeißt erbarmungslos alle raus, die nicht 100%ig auf seiner Seite stehen. An welchen glauben wir?

Der sanfte ist mir sympathischer und dir wohl auch. Aber ein Richter am Jüngsten Tag, der genauso ist? Wo kommen wir da hin? Wo kommt ein Lehrer hin, der alles durchgehen lässt? Wo kommt ein Regierungschef hin, die nicht sagt, wo's lang geht? Wo kommt ein Arbeitgeber hin, der seinen Mitarbeitern nicht auf die Finger guckt? Führungsqualitäten sind gefragt, überall im Leben. Der strenge Jesus entspricht ja sooo unsern heimlichen Wünschen und Vorstellungen.

Maßstab für mich sind aber nicht unsre Ideale, auch nicht unsere Jesusbilder oder die der Bibel. Alleiniger Maßstab für mich ist der Jesus, der wirklich gelebt hat. Von dem weiß ich halt nur durch die Bibel, aber darin stehen widersprüchliche Aussagen, wie gezeigt. Kann ich mir aussuchen, was ich glauben will? Das ist zu billig. Sondern ich versuche, mir einen Gesamteindruck von Jesus zu verschaffen.

Der hat z.B. die Geschichte vom verlorenen Sohn erzählt (Lukas 15,11-32). Dort vertritt der daheim gebliebene Sohn die harte Linie. Er kann nicht verstehen, warum der gestrenge Herr Vater so ein Trara macht. Da ist dem abgebrannten Brüderchen eingefallen wieder heimzukommen und sich ins gemachte Nest zu setzen, als es draußen nichts mehr zu beißen gab. Das hat er nicht verdient. Raus mit ihm! Der Vater = Gott aber vertritt die sanfte Linie, schmeißt ihn nicht raus, sondern nimmt ihn mit Freuden wieder auf. – Aha, also doch! Der Evangelist Johannes hat Recht, Jesus ist großzügig. Er kann es sein, weil Gott großzügig ist.

Liebe Leserin, lieber Leser, Gott ist so unwahrscheinlich großherzig, dass wir's kaum fassen können. Jesus hat's voll kapiert, seine Schüler mal mehr, mal weniger. Der Evangelist Johannes ist nahe dran.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner