Wort für den Monat November 2006

Gott spricht: Siehe, ich mache alles neu. (Offenbarung 21,5b)

Liebe Leserin, lieber Leser,

mein Kopf und mein Herz sind noch voll von der schönen Jubiläumsfeier unsres Vereins am 8. Oktober. 25 Jahre CVJM Reinheim, da können wir dankbar sein, dass wir diesen Tag erleben durften und nicht vorher schlapp gemacht haben. Dankbar durfte ich auch zur Kenntnis nehmen, dass inzwischen schon die dritte Generation von Mitarbeitern aktiv geworden ist, die ehemaligen Freizeitkinder unsrer ersten Freizeiten. Und mit Erstaunen ist mir beim Anblick der Bilder bewusst geworden, wie wir selbst, die Mitarbeiter der ersten Generation, gealtert sind in diesem Vierteljahrhundert.

Zugleich geht mir auch die Losung des kommenden Monats durch den Kopf: "Gott spricht: Siehe, ich mache alles neu." Das wirkt sich einmal so aus, dass die Jungen an die Stelle der Alten treten, ein ganz natürlicher Vorgang: neue Kräfte und neue Ideen entstehen und werden sich bewähren. "Gott macht neu die Gestalt der Erde", lesen wir schon in Psalm 104,30. Er macht neu, indem er an die Stelle der Alten, Verbrauchten die frische Jugend treten lässt, zunächst rein biologisch, die Alten gehen dahin, die Jungen wachsen heran.

Die Jungen sind nicht einfach Klone der Alten, identische Kopien, nur in einem unverbrauchten Körper. Sie sind etwas Neues, noch nie da Gewesenes, Originale, unvergleichlich. Und doch geben sie etwas weiter, was vorher schon da war: Das Neue, das ist zunächst nur eine Neukombination uralter Gene, die die Jungen von den Alten geerbt haben und an ihre Nachkommen weitergeben werden. Gott erneuert die Welt durch diese dauernde Neukombination, nicht nur biologisch, sondern auch geistig und geistlich: Unser Glaube geht zurück bis in die Zeit der ersten Menschen. Entscheidend Neues begann mit Abraham vor fast 4000, mit Mose von mehr als 3000, Jesus von 2000, Luther vor 500 Jahren und unsere persönlichen Glaubensväter. Das sind die "Gene", die "Glaubenskeime", die wir an unsre Nachkommen weitergeben und versuchen rein und unverfälscht zu erhalten. Zugleich ist unser persönlicher Glaube aber auch geprägt von fruchtbaren Impulsen, die wir immer wieder von anderen Menschen bekommen, und von ständiger Auseinandersetzung mit fremden Glaubensinhalten. Wir nehmen Anderes auf und grenzen uns gegen Fremdes ab. Auch so entsteht Neues.

Neues entsteht aber nicht nur durch ständig neue Kombinationen vorhandener Elemente. Aus der Biologie wissen wir, dass auch die Gene sich verändern. Meist kommt dabei nichts Gutes heraus, Krankheiten oder verkrüppelte Organe. Aber ab und zu ist etwas Brauchbares dabei, das sich als nützlich erweist, erhalten bleibt und sich schließlich durchsetzt. So ist es auch im Geistesleben. Wirklich Gutes entsteht nicht durch kontinuierliche Weiterentwicklung, sondern durch unvorhersehbare neue Impulse. Das Auto ist eine konsequente Weiterentwicklung aus dem ersten primitiven Wagen, aber das Rad, das war vorher noch nie da, das entsprang dem Geistesblitz eines Steinzeitmenschen.

Gute Geistesblitze sind so selten wie brauchbare Genmutationen. Ich habe schon viel Schwachsinn gelesen und gehört und selber von mir gegeben. Wozu machen wir eigentlich so viel unnötiges, sinnloses Geschwätz, auch in Kirche und CVJM? Wäre es nicht besser, beim bewährten Alten zu bleiben und nur das zu sagen, was wir mit gutem Gewissen sagen und verantworten können?

Schon die ersten Christen mussten sich mit diesem Thema beschäftigen. Wir wissen es von Paulus: In den urchristlichen Gottesdiensten wurde viel geredet, vielleicht zu viel. Die Gemeinden hatten ihre liebe Not, wenigstens ein Mindestmaß von Gottesdienstordnung einzuhalten. Und was empfiehlt Paulus? "Bremst den Geist nicht, lasst jeden zu Wort kommen, aber glaubt nicht unbesehen alles, sondern prüfet alles und das Beste behaltet" (1. Brief an die Thessalonicher 5,19-21). Kreativität, so wissen wir heute, kann nicht aufkommen, wenn man Maulkörbe verteilt. Wo neue Ideen gebraucht werden, muss man offen reden dürfen. Aber das Neue ist nicht automatisch gut, weil es neu ist. Es muss sich bewähren.

Eine Idee, ein Geistesblitz war es vor 25 Jahren, einen CVJM Reinheim zu gründen. Ob diese Idee gut war – es gab ja auch Bedenken -, konnten wir damals noch nicht wissen und mussten's ausprobieren. Jetzt hat sie sich ein Vierteljahrhundert lang bewährt. Wir brauchen aber immer wieder neue Ideen, neue Geistesblitze, um uns auch in Zukunft bewähren zu können. Das Bessre ist der Feind des Guten.

Habe ich gesagt "Geistesblitz"? Wo kommt so etwas her? Ich glaube, da wird in manchen Fällen der Geist Gottes in uns wirksam. Geistesblitze kann man nicht machen, die werden uns geschenkt. Wir können nur wie die alte Kirche beten: "Komm, Schöpfer, heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde uns das Feuer deiner göttlichen Liebe."

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner