Monatsspruch Mai 2007

Alle Zungen sollen bekennen, dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters. (Philipper 2,11)

Liebe Leserin, lieber Leser,

Herren gibt's heute keine mehr. Das Wort ist ein Überbleibsel aus dem Mittelalter, als man noch zwischen den adligen Herren und Untertanen unterschied. "Herr" ist nur noch Anrede vor einem Namen. Statt "Herr Müller" könnte man auch einfach "Müller" sagen, aber das klingt unhöflich.

Ehrlich gesagt, ich habe Probleme mit dem Wort "Herr". Der "Herr Müller" ist nicht mein "Herr", auch wenn er mein Chef wäre oder Bundespräsident und sonst eine Respektsperson. Ich bin ein freier Mensch und kein Untertan oder Befehlsempfänger. Natürlich muss ich mich an Gesetze und Vorschriften halten und an mein eigenes Wort, das ich jemand gegeben habe. Das ist aber was anderes als untertan sein und gehorchen. Ich bin und bleibe meine eigener Herr.

Wirklich? Und wie ist das mit der Pariser Basis, wonach wir "Jesus Christus als unseren Herrn anerkennen"? Und wie ist das mit dem Glaubensbekenntnis, in dem wir jeden Sonntag behaupten: "Ich glaube an Jesus Christus, … unsern Herrn"? Und wie ist das mit dem Monatsspruch: "bekennen, dass Jesus der Herr ist"? Und wie ist das mit dem allgemeinen Bekenntnis zu "Gott, dem Herrn"? Na ja, das sind überlieferte Redensarten, die wir übernommen haben und die wir mit Leben füllen müssen.

Auch da tue ich mir schwer mit dem Wort "Herr". Ich habe versucht, es durch andere Wörter zu ersetzen: "Jesus, unser Chef; Gott, der Boss" – das klingt komisch und trifft nicht das, was gemeint ist. Also bleibe ich lieber bei dem überlieferten "Herr".

Aber was ist denn gemeint? Ich kann nicht behaupten, dass ich von Jesus oder Gott Befehle bekomme und ausführe. Was ich zu tun versuche, ist das größte und einzige Gebot zu halten, das alle anderen überflüssig macht: "Liebe Gott von ganzem Herzen und sei lieb zu deinem Mitmenschen wie zu deinesgleichen." In diesem Sinne ist Jesus mein Herr, will sagen: die einzige Autorität, die ich anerkenne. Von daher verstehe ich auch Gott, denn "Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm" (1. Johannes 4,16). So lege ich auch das erste Gebot aus: "Du sollst nichts als den höchsten Wert anerkennen, was sich nicht mit der Liebe vereinbaren lässt."

Auch so bleibe ich mein eigener Herr. Ich bin kein Befehlsempfänger, der ohne selbst nachzudenken tut, was verlangt wird. Ich muss immer wieder neu herausfindet, was Liebe im konkreten Fall erfordert. Ein Befehlsempfänger kann die Verantwortung auf den Befehlshaber abwälzen. Ich bleibe Gott gegenüber verantwortlich. Er wird mich einmal zur Rede stellen. Wenn ich mich falsch verhalten habe, kann ich mich nicht damit herausreden: "Ich hab's doch nur gut gemeint." Gott traut mir zu, den richtigen Weg zu finden, und gibt mir die Freiheit, Fehler zu machen und aus den Fehlern zu lernen. Gott wird mich zur Rede stellen, aber er ist kein unbarmherziger Richter, der bestraft, sondern er wird sich meine Lebensbeichte anhören, vielleicht mal den Kopf schütteln, ein paar Fragen stellen oder seine Meinung sagen. Nicht wie ein Richter, sondern wie ein Vater, der sich von seinem Kind erzählen lässt, wie es ihm auf der Lebensreise ergangen ist. Und dann wird er sagen: "Was stehn wir da draußen herum? Komm rein, der Tisch ist schon gedeckt. Ich freue mich, dass du wieder da bist."

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner