Monatsspruch Juni 2007

Groß sind die Werke des Herrn, kostbar allen, die sich an ihnen freuen. (Psalm 111,2)

Liebe Leserin, lieber Leser,

erbitterte Diskussionen werden geführt, ob Gott die Welt absichtlich erschaffen hat oder ob sie sich zufällig ohne göttliches Zutun allmählich entwickelt hat. Als Christen sollten wir eigentlich die erste Meinung vertreten.

Auf der einen Seite hat sich die Naturwissenschaft vor 500 Jahren vorgenommen, die Welt zu erklären, "als ob es Gott nicht gäbe". Der Mensch stammt vom Affen ab und unsre Welt entstand durch einen Urknall. Auf der anderen Seite haben sich streitbare Christen in den Kopf gesetzt, zu beweisen, dass die Bibel doch Recht hat und Gott alle Arten von Lebewesen, auch den Menschen erschaffen hat. Bei diesem Streit geht es eigentlich gar nicht um Gott, sondern um menschliche Meinungen und wer Recht hat.

Der Psalmvers und Monatsspruch lenkt unsre Gedanken in eine andere Richtung: Der Beter freut sich über die "Werke des Herrn". In diesem Psalm geht es nicht um die Natur, sondern um das, was Gott in der Vergangenheit an Israel getan hat. Andere Psalmen wie 104 preisen Gottes Wirken in der Natur. Ob die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten oder die Wunder der Natur, beides gehört zusammen. Wir werden Gottes Wirken nicht dadurch gerecht, dass wir drüber streiten, sondern dass wir es bewundernd erkennen und anbetend anerkennen. Lieder bringen das hervorragend zum Ausdruck wie "Geh aus mein Herz und suche Freud" (Paul Gerhardt 1653, Gesangbuch 503), "Wenn ich, o Schöpfer deine Macht" (Christian Fürchtegott Gellert 1757, Gesangbuch 506), "Du großer Gott, wenn ich die Welt betrachte" (schwedisch, 18er Jahrhundert, Gemeinschaftslieder 26). Der Glaube erkennt: "Mein Auge sieht, so weit es blickt, die Wunder deiner Werke." Der Glaube hört, wie "auch der geringste Wurm" ruft: "Bringt meinem Schöpfer Ehre". Der Glaube kommt zu dem Schluss: "Erheb ihn ewig, o mein Geist," und "dann jauchzt mein Herz, dir großer Herrscher zu: Wie groß bist du."

Dazu gehört aber ein geübter Blick des Glaubens. Der eine sieht in der Natur, was er in seinem täglichen Leben selbst praktiziert: den Kampf aller gegen alle. Ein andrer betrachtet die Welt unter dem Gesichtspunkt von Nutzen oder Schaden für sich selbst. Der dritte blickt wie gebannt auf Fehlentwicklungen, Krankheit und Tod und weiß nicht, was daran schön sein soll.

Andere freuen sich unbekümmert an der Schönheit der Blumen, einer Landschaft und des Vogelgesangs, bewundern die perfekte Zusammenarbeit von Blumen und Bienen oder den sicheren Instinkt, mit denen die Zugvögel ihr Winterquartier und den Heimweg finden. Und erkennen darin vielleicht sogar die Weisheit des Schöpfers, der alles so wunderbar eingerichtet hat, und lassen sich vielleicht sogar zu einem Loblied hinreißen: "Ich singe mit, wenn alles singt, und lasse, was dem Höchsten klingt aus meinem Herzen rinnen".

Nur der Glaube erkennt das verborgene Wirken Gottes in der Natur. Das gilt auch von Gottes Wirken in der Geschichte und in unserem eigenen Leben. Die Israeliten erkannten in ihrer Befreiung aus der Sklaverei ein Wunder Gottes und sangen dafür ein Loblied. Sie erhofften sich Jahrhunderte später ebenso eine Befreiung aus der babylonischen Gefangenschaft und erlebten sie. Wir erlebten das Wunder der Wende und der Wiedervereinigung. Und ich danke Gott dafür, dass mein gebrochenes Bein so problemlos verheilt ist.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner