Monatsspruch Juli 2008

Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. (Psalm 139,5)

Liebe Leserin, lieber Leser,

Gott ist unausweichlich. Man ist nirgends vor ihm sicher. Man kann sich nicht vor ihm verstecken. Diese Erfahrung musste der alttestamentliche Beter machen. Die Geschichte von Jona illustriert das: Der Prophet will sich dem Auftrag Gottes entziehen; aber Gott spürt ihn mitten im Meer auf und holt ihn zurück.

Heute haben viele einen ganz anderen Eindruck: Gott ist unauffindbar. Nicht dass sie ihm davonlaufen wollten wie Jona. Im Gegenteil: Sie suchen ihn. Aber er entzieht sich immer wieder ihrem Zugriff und bleibt unauffindbar.

Offenbar hat der moderne Mensch kein Organ mehr für Gott. Oder besser gesagt: Er hat den Zugang zu Gott verschüttet. Er denkt und lebt hauptsächlich mit seinem Kopf und nicht mehr mit seinem Herzen. Er lebt rational, verstandesmäßig. Gott aber ist irrational, nicht vom Verstand her zu erfassen, nur mit dem Herzen.

AnglerVielleicht geht es uns dabei so wie jenem Fisch, der gehört hatte, dass es Wasser gibt. Nun suchte er das Wasser. Da er diese Frage aber ebenfalls rational, verstandesmäßig anging, fand er das Wasser nicht. Also schloss er: Es gibt kein Wasser. Dabei war er sein Leben lang vom Wasser umgeben. Er merkte es erst, als ihn ein Angler an Land zog. Da fehlte es ihm.

Wir müssen lernen, mit unserem Herzen zu denken, wenn wir Gott erfahren wollen. Wir müssen lernen, von der Oberfläche in die Tiefe vorzustoßen. Unser Verstand bewegt sich auf der Oberfläche. Er nimmt nur das wahr, was außerhalb von uns selbst liegt. So sieht auch der Angler nur die Oberfläche des Wassers und was sich darauf spiegelt. Die Fische, die er fangen will, bekommt er nur selten zu Gesicht. Und erst recht sieht er nicht, was auf dem Grund des Sees liegt.

Gott ist nicht auf der Oberfläche zu finden, sondern in der Tiefe, auf dem Grund unsrer Seele. Er ist die Quelle. aus der wir leben. Wenn wir ihn finden wollen, müssen wir uns von der Oberfläche lösen und in die Tiefe gehen.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner