Jahreslosung 2009

Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich. (Lukas 18,27)

Liebe Leserin, lieber Leser,

kannst du auf dem Wasser laufen? Kannst du einen Kreis in ein gleich großes Quadrat verwandeln? Kannst du Gold machen? Das geht doch alles nicht. Aber wenn man um die Ecke denkt, geht's doch. Gehe auf eine Eisfläche, dann läufst du auch auf dem Wasser. Von flüssig war keine Rede. – Mit Hilfe einiger Formeln kannst du die Seitenlänge des Quadrates errechnen. Von einer graphischen Lösung war keine Rede. – Mit Hilfe von Kernverschmelzung oder -spaltung kannst du Gold machen, echt. Von preiswert war keine Rede.

Vieles, was unmöglich scheint, geht doch. Wenn man um die Ecke denkt. Oder wenn man es ernsthaft will. Ich lief einmal an ein paar Buben vorbei, die hatten mit ihren Fahrrädern einen engen Durchgang blockiert. Ich bat sie, die Sachen wegzustellen. Keine Reaktion. Einer fing an zu lachen, um zu zeigen, dass er mich nicht ernst nahm. Ich tat nichts, stand nur da und guckte sie an. Bis ein anderer aufstand und den Weg frei machte. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Wir sind meist bloß nicht hartnäckig genug.

Auch bei den Menschen ist also manches möglich, was man sich nicht vorstellen kann. Und bei Gott? Man braucht doch nur zu beten. Wenn wir hartnäckig genug sind, können wir auch Gott gegenüber unsern Willen durchsetzen, oder? Hat uns Jesus nicht im Gleichnis von der bittenden Witwe (Lukas 18,1-8) dazu ermuntert? Da setzt eine Witwe einem eigensinnigen Richter so lange zu, bis sie ihr Recht bekommt. Sie verlangt nichts Unmögliches, sondern nur dass der Richter seine Pflicht tut. Jesus sagt also nicht: "Wenn ihr lang genug quengelt, kriegt ihr alles", sondern "Gott ist ganz anders, der weiß und gibt euch, was ihr nötig habt." Wir brauchen nicht zu quengeln und ihn an seine Pflicht erinnern.

Beim Beten geht es nicht drum, unsren Willen durchzusetzen, sondern eins zu werden mit Gottes Willen. Darum beten wir ja im Vaterunser: "Dein Wille geschehe." Es ist ganz logisch: Wenn ich eins bin mit Gottes Willen, dann will ich, was Er will, und Er will, was ich will.

"Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich." Hier geht es aber nicht um Wunder und Gebetserhörung, sondern um die Frage, ob ein Reicher ins Reich Gottes kommen kann. Jesus meint: "Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als das". Beides ist unmöglich. Da helfen alle Tricks der Ausleger nicht, dass Jesus ein Türchen für Fußgänger gemeint habe oder dass durch ein Schreibversehen aus einem Schiffstau ein Dromedar geworden sei. Nein, Jesus lehnt kategorisch ab, dass einer ins Reich Gottes kommt, ohne sein ganzes Geld zu verschenken.

Ist das unser Jesus, der da so unbarmherzig über andere urteilt? Ich glaube, ich kann ihn verstehen. Jesus hat vom Reichen Jüngling verlangt, alles zu verkaufen. Man muss knallharte Forderungen stellen, wenn man was erreichen will. Nachgeben kann man dann immer noch. Vielleicht war Jesus zu hart gewesen, denn der junge Mann ließ sich auf keine Verhandlung ein, sondern ging traurig weg. Jesus hat es hinterher Leid getan, denn er fügt anschließend im kleinen Kreis hinzu: "Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott möglich." Gott ist so großzügig, wie sich's noch nicht einmal Jesus vorstellen konnte.

Ich möchte in meinem Leben ja gar nichts Unmögliches bewirken, kein Wasser in Wein verwandeln, nicht die Weltwirtschaftskrise in den Griff bekommen oder die Welt vor den Terroristen retten. Es wäre schon ein Wunder, wenn ich auch nur halb so großzügig sein könnte wie Gott.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner