Monatsspruch Juli 2009

Freut euch in dem Herrn! (Philipper 3,1)

Liebe Leserin, lieber Leser,

es ist Montagmorgen nach der Europawahl. Ich werfe einen Blick auf die Zeitung: Betretene Blicke der Verlierer, Zähnefletschende Gewinner. Warum zeigt man eigentlich den anderen seine Zähne, wenn man sich freut? Geht das auf eine alte Siegerpose zurück? "Wartet, euch werde ich's zeigen. Ihr seht, ich habe gute Zähne. Wage es einer und lege sich mit mir an!" Oft wirken die "cheese"-Münder auf den Fotos unecht. Man weiß nicht, ob diese Menschen wirklich fröhlich sind, ob sie vorgeben zu triumphieren, oder ob sie Angst haben und beißen wollen. Ich bin froh, dass man das falsche Grinsen von den Passbildern verbannt hat. Das Leben ist ernst genug. Warum müssen wir Freude heucheln?

Können wir uns überhaupt freuen? Wir modernen Menschen sind darauf dressiert, unsre Gefühle nicht zu zeigen. Wir wohnen zu dicht aufeinander und stören die anderen, wenn wir vor Zorn lospoltern, vor Übermut jodeln, unsern Schmerz hinausschreien oder "frohlockend" herumtanzen und jubeln.

Nicht, dass wir uns nicht freuen würden. Wir lachen über Witze. Wir haben auf Freizeiten eine Menge Spaß miteinander. Wir genießen etwas Schönes, empfinden Wonne bei Zärtlichkeit, haben Lust auf ein Eis, freuen uns auf ein Fest und über ein Geschenk, sind froh, wenn wir eine Schwierigkeit überstanden haben. Wir sind befriedigt, wenn ein Ziel erreicht, ein Wunsch in Erfüllung gegangen, ein Gebet erhört wurde.

Wir äußern unsre Gefühle nicht laut, sondern leise. Wir zeigen sie in stürmischer Umarmung, dankbarem Händedruck, Lächeln, Tränen, Freudentränen, warmen Worten. Und manchmal sind wir so überwältigt, dass es uns die Sprache verschlägt.

"Ein Christ soll ein fröhlicher Mensch sein" (Luther) oder besser: Er darf ein fröhlicher Mensch sein. Wie äußert sich das? Nicht so, dass er ewig grinsend und zähnefletschend durch die Welt läuft wie die Wahlgewinner auf den Fotos. Wir haben ja allen Grund uns zu freuen: Wir können stolz darauf sein, dass wir Gottes Kinder sind. Das Beten lehrt uns dankbar sein für all das Gute, das wir tagtäglich erleben. Die Welt muss sich nicht ändern, aber wir sehen sie positiv. Wolken sind normal, daher freue ich mich über jeden Sonnenstrahl. Im Sommer ist heiß normal, daher freue ich mich über jedes Wölkchen, das Schatten spendet, und jede Abkühlung. Die "Freude im Herrn" ist Zufriedenheit, die wir durch den Glauben ("im Herrn") gewinnen. Ist Gewissheit, dass wir in Gottes Hand stehen und uns alles zum Besten dienen muss. Ist Gelassenheit im Vertrauen auf Gott, der in allen Dingen den längeren Atem hat.

Wie stellen wir uns den Himmel vor? Ist dort ein unaufhörliches Fest? Ewiger brausender Jubel wie nach einem gewonnenen Fußballspiel? Oder herrscht dort eher eine stille Zufriedenheit, dass wir endlich wieder daheim sind, endlich wieder mit Gott vereinigt? Im Himmel kann es nicht viel anders sein als auf der Erde. Wer hier mit Jesus verbunden, "im Herrn ist", wird es dort auch sein. Psalm 131,2 bringt dies mit wunderbaren Worten zum Ausdruck: "Fürwahr, meine Seele ist still und ruhig geworden wie ein kleines Kind bei seiner Mutter; wie ein kleines Kind, so ist meine Seele in mir."

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner