Monatsspruch Juli 2010

So bekehre dich nun zu deinem Gott, halte fest an Barmherzigkeit und Recht und hoffe stets auf deinen Gott! (Hosea 12,7)

Liebe Leserin, lieber Leser,

"nicht schon wieder", stöhnte ich, als ich den Monatsspruch las. "Sucht Gott" hatten wir doch erst, jetzt "bekehre dich", das ist doch fast dasselbe. Doch dann, als ich das ganze Kapitel las, war ich fasziniert:

Denn Hosea 12 ist die älteste Bibelauslegung. Obwohl es die heutige Bibel noch nicht gab, auch nicht das 1. Buch Mose, war doch um 750 v. Chr. die Jakobsgeschichte bekannt, wie wir sie heute kennen: Jakob hielt bei der Geburt seinen Zwillingsbruder Esau an der Ferse (Vers 4 = Genesis 25,26) und hat mit einem Engel gekämpft (Vers 5 = Genesis 32,25-30). Gott hat zweimal in Bethel mit ihm gesprochen (Vers 5 = Genesis 28,14+15; 35). Er musste nach Syrien fliehen. Dort musste er den Preis für seine Braut als Schäfer abarbeiten (Vers 13 = Genesis 28+29). Auch die Namensdeutungen von Jakob als 'Fersenhalter, Betrüger' und von Israel als 'Gotteskämpfer' sind dem Propheten bekannt. All das sind Andeutungen, die im 1. Buch Mose ausführlich erzählt werden.

Mindestens die Jakobsgeschichte war damals schon fertig ausformuliert und jedem Israeliten vertraut, sonst hätte man Hosea nicht verstehen können. Er kann sich auf Anspielungen beschränken, weil die Hörer Bescheid wissen. Vielleicht lag diese Erzählung sogar schon als Vorstufe zu den Mose-Büchern in schriftlicher Form vor.

Hosea wendet die alten Geschichten auf die Gegenwart an: Schon der Stammvater Jakob war ein Betrüger – wie die Zeitgenossen des Propheten, die mit gefälschten Waagen ihre Käufer übers Ohr hauten, ihren Reichtum genossen und sich keiner Schuld bewusst waren. Schon Jakob musste zweimal das Land verlassen, erst nach Syrien, dann nach Ägypten. Kann das auch mit seinen Nachkommen geschehen?

Hosea lässt sich die überlieferten Geschichten durch den Kopf gehen, stellt dabei Parallelen zur Gegenwart fest und verlängert diese Linie in die Zukunft: von Jakob, dem Betrüger, zum Geschäftemacher der Gegenwart – vom Jakob, dem Flüchtling, zur drohenden Deportation seiner Nachkommen in der Zukunft. Immerhin durfte Jakob wieder nach Bethel zu Gott zurückkehren (in Vers 7 angedeutet). Immerhin hat Mose Israel wieder aus Ägypten geführt (Vers 14).

Was geht das uns an? Flucht und Vertreibung gab es ja auch vor 65 Jahren in unsrer Geschichte. Dieses Thema ist bis heute noch nicht ausdiskutiert. Ich sah da immer eine enge Parallele zwischen dem Schicksal Israels und unserm eigenen. Gewiss durfte Israel aus Ägypten zurückkehren und Jahrhunderte später aus der Babylonischen Gefangenschaft und in unsrer Zeit aus aller Welt zurück ins Heilige Land. Aber jedesmal um einen hohen Preis: Die Rückkehrer aus Ägypten beriefen sich auf alte Ansprüche und begannen die Urbevölkerung auszurotten. Die Rückkehrer aus Babylonien beriefen sich auf alte Ansprüche und ignorierten, dass im Heiligen Land ja noch Stammverwandte lebten. Den heutigen Staat Israel zu kritisieren habe ich als Deutscher kein Recht. Aber man wird doch noch sagen dürfen: "Liebe Israelis, ihr wisst, was unsre Väter euch angetan haben. Deshalb seid bitte, bitte vernünftig und begeht nicht genau dieselben Sünden."

Und den Nachkommen unsrer Vertriebenen muss ich sagen: "Lernt aus dieser Geschichte. Die Vertreibung war Unrecht, eine Rückkehr würde neues Unrecht bringen. Begrabt die Toten der Vergangenheit, versöhnt euch mit euren Vertreibern und lasst uns gemeinsam einen Weg in die Zukunft gehen."

Und der Monatsspruch? Ist unter den Tisch gefallen! Stimmt, ich wäre beinahe drauf getreten: Hier ist er: "So bekehre dich nun zu deinem Gott, halte fest an Barmherzigkeit und Recht und hoffe stets auf deinen Gott!" Hosea spielt auf die Rückkehr Jakobs nach Bethel an. Gott hatte ihm versprochen: "Du darfst wieder zurückkehren" – zunächst rein geographisch, von Haran nach Bethel. Hosea legt diese Stelle geistlich aus: Ihr dürft zu Gott zurückkehren. Darum, ihr Götzendiener und Geschäftemacher und Realpolitiker: Kehrt zurück zu eurem Gott und tut endlich, was er von euch erwartet: Barmherzigkeit und Recht." Nicht nur in der Bundesregierung, sondern auch in unserm eignen Leben.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner