Monatsspruch April 2011

Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt! (Matthäus 26,41)

Liebe Leserin, lieber Leser,

es ist spät geworden. Jesus und seine Jünger haben gefeiert und sich auf ihren Lagerplatz begeben. Ich wäre jetzt hundemüde. Aber Jesus kann nicht schlafen, weil er ahnt, was ihm jetzt bevorsteht. Er steht auf der Fahndungsliste. Vorgestern hatte er die öffentliche Ordnung gestört und Krawall auf dem Tempelplatz gemacht. Die Polizei ist hinter ihm her. Einer seiner Vertrauten, Judas, hat sich während der Feier abgesetzt und ist bis jetzt noch nicht zurückgekommen. Er wird zurückkommen, weiß Jesus, Aber nicht allein. Er wird die Polizei zum Lagerplatz führen. Nicht die üblichen zwei von der Streife, sondern eine ganze Einheit, mit Verstärkung von der römischen Armee. Warum so viele? Na, weil man annimmt, dass Jesus seine Leibwache dabei hat. Und wenn's hart auf hart geht, werden seine Fans ihn verteidigen. Das gehört sich doch. Ich hätte da Angst. Jesus hätte nicht, sondern hat Angst. Und gibt es zu.

Also, ich in dieser Situation würde ich meiner "Leibwache" die letzten Instruktionen geben: Frauen und Kinder in die Mitte, die Männer einen schützenden Ring bilden, die Waffen gezückt… Na ja, sie hatten alle zusammen gerade zwei Schwerter. Und die waren zu viel. Also, verteidigen geht nicht. Und das hatte Jesus auch nicht vor. Aber etwas anderes: sich Mut an… Nein, nicht was man so gewöhnlich tut, sondern sich Mut anbeten. Er ermahnt die Jünger zu beten, geht mit drei von ihnen ein bisschen weiter. Sie sollen mit ihm beten und ihn zugleich bewachen. Tun sie aber nicht. Sobald sie sich gesetzt haben, fallen ihnen die Augen zu. Und Jesus ist allein und ringt sich allein dazu durch, sein Schicksal anzunehmen.

Seine letzte Instruktion an die verschlafenen Wächter ist in dieser Situation verständlich: "Es steht uns eine Bewährungsprobe bevor. Darum bleibt wach und betet, dass wir sie bestehen." - Also, ich weiß nicht, Jesus. Wenn du schon aufgegeben hast, bevor es losgeht, worum sollen die drei dann noch beten, ist ja alles sinnlos, lass sie lieber noch einen Augenblick pennen, damit sie nachher fit sind. Ja, was hätten sie da noch beten sollen? Jesus überstimmen und Gott umstimmen? Hat doch alles keinen Sinn mehr. Nein nicht betteln und umstimmen, sondern sich einstimmen auf das, was kommt. Sich auf die bevorstehende Auseinandersetzung konzentrieren, um keine Fehler zu machen.

Aber zumindest Petrus überlässt sich dem Sekundenschlaf, ist dann sofort hellwach, hat's Messer rausgerissen und einen massakriert – beinahe, danebengehauen und nur das Ohr getroffen. Aber falsch reagiert. Feigheit kann man dem Petrus ja nicht vorwerfen, er schleicht seinem gefangenen Meister nach, vielleicht kann man ihn heimlich befreien. "Und wenn er als Märtyrer sterben müsste", wie einer der Islamisten, die es als Ehre ansehen, sich zu opfern. Und wieder hat Petrus einen Fehler gemacht. Statt seinem Meister zu helfen, tappt er arglos in die Falle. Und verleugnet ihn.

Hätte er doch gebetet und sich konzentriert auf das, was Jesus ihm aufgetragen hatte. Wer aus dem Schlaf aufschreckt, kann nicht besonnen handeln.

Luther hat nicht "Bewährungsprobe" geschrieben, sondern "Anfechtung" übersetzt. Das kann man hier wörtlich verstehen: Ein Knüppel schwingender Polizist geht drohend auf Petrus zu. Es kommt zu einem "Gefecht". Mit dem Schwert ist Petrus überlegen und der Polizist verliert sein Ohr. Dieses Gefecht soll aber nicht mit der Waffe ausgefochten werden. Jesus hat gezeigt, wie's geht: nicht mit militärischen Finessen, sondern mit innerer Stärke, die er sich angebetet hatte. Er geht entschlossen auf die Angreifer zu: "Wenn ihr mich sucht, dann lasst doch die Jünger in Ruhe. Ich bin Jesus, da bin ich, nehmt mich fest. Den bewaffneten Fackelzug hättet ihr euch sparen können." Das war mutig.

"Anfechtung" erleben wir heute selten so konkret. Was Luther gemeint hatte, waren Selbstzweifel: "War meine Entscheidung richtig? Bin ich noch auf dem richtigen Weg? Werde ich es durchhalten?" Es ist so schwer, sich zwischen Beifall, Anfeindungen und Selbsterhaltungstrieb hindurch zu manövrieren. Den einen gefällt's, den andern nicht. Und man will ja schließlich auch nicht sein Gesicht verlieren und muss so tun, als habe das alles seine Richtigkeit. Bloß keine Schwäche zeigen. Das sagt der, der schwach ist. Der Starke kann es sich leisten, Fehler zuzugeben. Er muss nicht den starken Mann spielen. So war Jesus. Unser Jesus. Einer wie wir. Aber durch und durch echt. So möchte ich auch sein.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner