Grundbegriffe des Glaubens: Himmel

Da stiegen Mose und Aaron, Nadab und Abihu und siebzig von den Ältesten Israels hinauf und sahen den Gott Israels. Unter seinen Füßen war es wie eine Fläche von Saphir und wie der Himmel, wenn es klar ist. (Exodus 24,9.10)

Liebe Leserin, lieber Leser,

Mose steigt mit der Prominenz Israels auf den heiligen Berg und hält dort mit Ihnen ein Festmahl. Ich stelle mir vor, wie das von unten aussah, aus der Ebene: Der Gipfel in Wolken gehüllt, nach damaligem Glauben ein Zeichen, dass Gott "daheim" war und bald den ersehnten Regen schicken würde. Und Mose sagt: "Kommt, wir besuchen Gott." Ein mulmiges Gefühl. "Darf man das?" fragten sie sich damals. Auch heute hätte ich unter diesen Umständen Bedenken: Was ist, wenn wir in ein Unwetter geraten? Aber Mose ist ein erfahrener Bergsteiger, auf den kann man sich verlassen. Sie steigen keuchend hoch, durch die Wolken durch, werden vielleicht ein bisschen nass und vom Donner erschreckt. Doch dann lassen sie die Wolken unter sich und über ihnen strahlt ein wunderschöner blauer Himmel. Ich kann nachempfinden, wie überwältigend dieser Anblick sein musste. Und Mose erklärt: "Da oben, das Blaue, ist der Teppich unter Gottes Füßen." Ehrfürchtig werfen sie sich auf den Boden. Dann stehen sie wieder auf und vespern, unter Gottes Füßen und vor seinen Augen.

Ich höre schon die Gegenstimme: "Ha, ha, ha! Ammenmärchen, das glaubt doch kein Mensch! Denn den Himmel gibt's gar nicht. Das Blaue dort oben ist die Luft, und wo keine Luft mehr ist, ist's schwarz wie die Nacht. Über der Luft beginnt der Weltraum. Unsre Astronauten war'n dort oben und haben keinen Gott gesehen. Dort ist absolut nichts, leerer Raum und alle paar Lichtjahre mal ein mickriger Stern. Schminkt euch das ab und werdet endlich vernünftig!"

Stimmt. Wir haben heute Schwierigkeiten uns den Himmel vorzustellen. Der Weltraum ist kein Himmel und in ihm ist's äußerst ungemütlich. Geschichten von Engeln und Göttern, die den Menschen erschienen, erzählen nicht von Außerirdischen, und bei einer Himmelfahrt ist keiner ins Weltall gedüst. Was aber sonst?

Die angeblich unzutreffende Vorstellung vom Himmel entspricht doch immer noch unsrer unmittelbaren Anschauung: Das Blau, die Wolken, die Sterne sind über uns und erinnern uns daran: Es gibt Welten, die entziehen sich unserm Zugriff - auch der Weltraum, trotz allem Großmannsgetue, ihn zu erobern. Wir können angesichts dieser unendlichen Weiten Bescheidenheit und Demut lernen.

Und doch hat die Menschheit den uralten Traum vom Fliegen. Das waren keine technischen Phantasien, die heute verwirklicht sind, sondern die Sehnsucht, uns vom irdischen Kleinkram und Gezänk zu lösen und unsern Geist zu erheben. Dazu brauchen wir kein Flugzeug oder Raumschiff, sondern Hinwendung zu Gott. Im Gebet "erheben wir unsre Herzen". Und hoffen, einmal bei ihm zu sein, "im Himmel".

Ein wichtiges biblisches Symbol für die Wohnung Gottes ist nicht das klare Licht, sondern die dunkle Wolke. Das Allerheiligste im Tempel war ein lichtloser Raum. Von Mose heißt es einmal "Er nahte sich dem Dunkel, darinnen Gott war." (Exodus 20,21) Dieses Bild hat mich mehr beeindruckt als das vom blauen Himmel über den Wolken oder vom Licht am Ende des Tunnels. Erst müssen wir mal rein in die Angst machende Finsternis. Statt darauf zu hoffen, dass mir "von irgendwo ein Lichtlein her" kommt, vertraue ich darauf, dass Gott im Dunkeln wohnt und daher gerade da bei mir ist, wo ich nicht mehr aus und ein weiß.

"Halt an, wo läufst du hin? Der Himmel ist in dir. Suchst du Gott anderswo, du [ver]fehlst ihn für und für."
Johannes Scheffler (Angelus Silesius), Cherubinischer Wandersmann 81

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner