Monatsspruch Februar 2016

Wenn ihr beten wollt und ihr habt einem anderen etwas vorzuwerfen, dann vergebt ihm, damit auch euer Vater im Himmel euch eure Verfehlungen vergibt. (Markus 11,25)

Liebe Leserin, lieber Leser,

kann man jemand vergeben, der sich an nichts mehr entsinnen kann? Mir hat mal jemand schwer Unrecht getan - wie ich es empfand. Das ging mir lange nach und wurmt mich jetzt noch. Endlich hatte ich Gelegenheit mit ihm drüber zu sprechen. Was mich die ganze Zeit quälte, die Art, wie er mich behandelt hatte, ich konnte es nicht loslassen, weil er sich nicht mehr an den Vorfall erinnern konnte. Kann heißen: Für ihn war das eine Routinesache, ein Fall unter anderen, ganz nebenbei und völlig unwichtig. Oder wollte er die Sache herunterspielen? "Es war doch gar nicht so schlimm, jetzt stell dich nicht so an!" Für ihn nicht, aber für mich! Oder hat er einfach gemauert, weil es ihm peinlich war, daran erinnert zu werden? Es war für uns beide eine schwierige Situation. Die Sache konnte nicht bereinigt werden, weil er nicht drüber sprechen wollte. Und jetzt trage ich meinen Gram immer noch mit mir herum.

Ganz unschuldig war ich an diesem Vorfall sicher nicht, auch wenn ich wirklich nicht weiß, was ich falsch gemacht hatte. Ich habe versucht zu vergeben, es war nicht möglich. Wie kann mir dann unser Vater im Himmel vergeben? Wie kann er überhaupt vergeben, wenn so vieles schief geht in unserm Leben und in seiner Schöpfung? Ist ihm das alles egal? Kümmert ihn das nicht, wenn wir Menschen uns gegenseitig kaputt machen und seine Welt ruinieren?

Jetzt sag nicht vorschnell: "Gott ist nicht so, er ist nicht nachtragend, er hat dich lieb und du darfst jederzeit zu ihm kommen." Sag auch nicht vorschnell: "Dafür ist Jesus doch gestorben, sein Blut reinigt uns von aller Sünde." Denn es geht ja nicht um meine Sünde, sondern dass ich nicht vergeben konnte, weil er nicht vergeben haben wollte. Es geht noch nicht mal um "Sünde", sondern einfach darum, dass ich etwas mit mir herumschleppe, was ich nicht loswerden kann, nicht nur diese eine Wunde, die nicht heilen will, nicht nur diese eine Last, die mich drückt, nicht nur diese eine Erinnerung, die ich nicht vergessen kann.

Warum quäle ich mich überhaupt damit herum? Da hat mir oft ein naives Bild geholfen: Da sitzt ein kleines Teufelchen in meinem Ohr oder Herzen und stichelt: "Du jämmerlicher Versager!" - oder noch schlimmer: "Da hat dir einer Unrecht getan!" - und am schlimmsten: "Merkst du nicht, dass der / die dich nur ausnutzt?" Wenn's weiter nichts ist: Kleine und große Teufelchen in mir oder dir haben nichts zu sagen. Sag doch einfach wie Jesus, auf Biblisch: "Hebe dich weg von mir, Satan" (Matthäus 4,10), auf Deutsch: "Halt's Maul, Teufel, und hau ab! Ich gehöre zu Jesus!" Oder, wenn dir das auch zu altmodisch ist, mit Paulus: "Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem" (Römer 12,21), lass weder im Tun noch im Denken das Böse Macht über dich gewinnen, sondern gib dem Guten Raum.

Hilfreich ist auch ein anderes Bild: Ich stelle mir vor, ich wäre ein Adler und könnte einfach davonfliegen, kilometerhoch in die Luft, über dem ganzen Kleinkram schweben und alles von oben betrachten. Erst von oben, mit den Augen Gottes, können wir Zusammenhänge und einen Sinn erkennen. Und erst da oben reimen sich auch "Maus" auf "Kirche" und "Haus" auf "Ratte".

Und manchmal stelle ich mir vor, wir säßen da oben im himmlischen Saal beim Festmahl, Freund und Feind friedlich vereint und würden über unsre Dummheiten und Sünden von damals herzlich lachen, und Gott würde den Teufel in seine Arme schließen und sich freuen, dass auch er gekommen ist. Denn auch er ist ein Diener Gottes. Irgendjemand musste ja die Dreckarbeit machen, uns auf die Probe stellen und Gelegenheit geben uns zu bewähren.

Ich bin weit entfernt davon, in "Kirche" und "Ratte" einen Reim zu erkennen, aber ich vertraue darauf, dass es einen gibt, der auch "auf krummen Linien gerade schreiben" und alles wieder gut machen kann. Aber nicht auf der Erde, sondern im Himmel.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner