Monatsspruch Oktober 2017

So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen. Es wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut. Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden. (Lukas 15,7.10.32)

Liebe Leserin, lieber Leser,

"Freuet euch mit mir, denn ich habe mein … gefunden, wo ich verloren hatte", ist in unsrer Familie eine stehende Redewendung (aus Lukas 15). Es ist ja erfreulich, wenn man etwas wieder findet. Beides, wiederfinden und endgültig verloren haben, kennt wohl jeder.

Jesus erzählt drei Gleichnisse: von einem Schäfer, der ein verirrtes Schaf aufgespürt hat - von einer Frau, die das ganze Haus auf den Kopf gestellt hat, um ihren Euro wiederzufinden - vom ausgewanderten Sohn, der nach Hause zurückgekehrt ist. Und jedes Mal steht am Ende ein Aufruf zur Freude.

Unvorstellbar, dass man sich da nicht freut, oder? Jesus fängt mit Selbstverständlichkeiten an und kommt erst am Schluss auf das, was er sagen will: Wenn wir einen Menschen verlieren, trauern wir zunächst. Dann finden wir uns mit dem Verlust ab und richten unser Leben ohne ihn ein. Es war im Krieg, der Mann wurde als vermisst gemeldet, schließlich für tot erklärt. Das Leben muss weitergehen. Die Frau heiratet wieder - und auf einmal steht der Totgeglaubte vor der Tür. Der bringt ja alles durcheinander!

So war das auch beim "Verlorenen Sohn": Er ließ sich das Erbe auszahlen, ging ins Ausland und kam arm und zerlumpt wieder heim. Der Vater war außer sich vor Freude und startete spontan eine Party. Kann man verstehen. Der Bruder war außer sich vor Ärger: Dass er daheim geblieben war und sich abgerackert hatte, war keiner Rede wert gewesen. Kann man auch verstehen.

Ich kenne das auch aus der Sicht des Ausgewanderten: Wer längere Zeit weg ist, verliert nicht nur den Kontakt zu den Daheimgebliebenen, sondern entwickelt sich weiter. Die anderen auch, aber sie merken es nicht, weil sie ja noch in ihren alten Beziehungen leben. Ich hab's mehrfach erfahren, dass ich in eine fremde Welt zurückkam und mit den Zurückgebliebenen so wenig anfangen konnten wie sie mit mir.

Der Hof des Vaters im Gleichnis war Familienbetrieb. Jeder hatte seine angestammten Aufgaben, alles funktionierte bestens. Nicht nur der Heimkehrer störte die Harmonie. Der andere Sohn war wohl inzwischen verheiratet, mit einer Fremden, die die Harmonie genauso störte. Sie musste erst ihren Platz finden.

Ich habe mal bei einer Jubiläumsfeier erlebt, dass die ehemaligen Kameraden einfach ihre alten Rollen übernahmen, die wir vor 25 Jahren gespielt hatten. Das ist zwar für den Einstieg hilfreich. Aber es darf uns nicht daran hindern, einander neu kennenzulernen. Wir möchten selbst nicht auf unsre Vergangenheit festgelegt werden und müssen daher offen für neue Erfahrungen sein.

Am 31. Oktober ist es 500 Jahre her, dass Luther seine Thesen angeschlagen hat. Seitdem sind Katholiken und Protestanten ihre eigenen Wege gegangen. Unsre Seite ist in unzählige Teile zersplittert und jeder war mit jedem verfeindet. Heute sind wir auf dem Weg zueinander. Beim 2. Vatikanischen Konzil (1963-65) hat die katholische Kirche wesentliche Forderungen der Reformatoren erfüllt: die Bibel steht wieder in der Mitte, Gottesdienst in der Landessprache, sogar das Abendmahl mit Brot und Wein wurde erlaubt (aber nicht angenommen). Das war ein großer Schritt nach vorne und ermöglichte die engere Zusammenarbeit der Konfessionen.

Die Heimkehr des verlorenen Sohns war ein Kinderspiel dagegen. Der wusste, wo er hingehörte und die beiden Brüder mussten sich nur wieder vertragen. Aber die getrennten Kirchen haben kein Elternhaus mehr. "Werdet doch alle evangelisch" ist so blauäugig wie "werdet doch alle katholisch". Was wir heute versuchen, ist "Einheit in der Verschiedenheit": Wir erkennen einander an und achten die unterschiedlichen Traditionen. Für mich war das eine Bereicherung. Ich habe von der "Konkurrenz" eine Menge gelernt. So wie der verlorene Sohn in der Fremde nicht nur Geld verpulvert, sondern auch Erfahrungen gesammelt hat.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner