Monatsspruch November 2017

Ich will unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein. (Hesekiel 37,27)

Liebe Leserin, lieber Leser,

wo wohnt Gott? Eine kindische, kindliche und doch auch sehr erwachsene Frage. Kindisch, wenn wir an ein Gebäude mit Zimmern und Möbeln denken. Etwa so, wie ich mir als Kind die Stimmen in Radio erklärte: In diesem Kasten sitzen Leute, die miteinander sprechen oder eine Rede halten - so wie ich die abendlichen Kirchenvorstandssitzungen im Wohnzimmer erlebte, währende ich nebenan im Bett lag und eigentlich schlafen sollte. Kindlich, weil auch heutige Kinder glauben, Gott wohne in der Kirche.

Und was fragen Erwachsene? Sofern sie überhaupt noch mit Gott rechnen, fragen sie persönlich betroffen: "Wo ist denn Gott jetzt, warum tut oder antwortet er nichts? Wo war er damals bei dem schweren Schicksalsschlag?" Wir sehen ihn nicht, wir hören ihn nicht. Und doch ist er da. Nicht als der große Zauberer, der mit den Fingern schnackelt und alles ist wieder gut, und der den bösen Feind in einen Gimpel verwandelt und in einen Käfig sperrt. Nein, er hat keine Kriege und Katastrophen verhindert. Er hat keinen Tyrannen vorzeitig sterben lassen - aber meine Schwester und unsre Tochter, die als Kinder gestorben sind. Er hat sogar Jesus hängen lassen und ihm nicht geholfen! Und warum? Weiß ich's? Ich hab's studiert und weiß es doch nicht. Auf die Rätsel unsres Lebens gibt's nicht immer eine Antwort. Oder doch? Was mir nach dem Tod unsrer Tochter als erstes einfiel: "Warum soll's uns besser gehen als andern Leuten?" Das war schon mal eine Hilfe: mich zu erinnern, dass auch andere ihre Kinder verlieren. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Gott mutet uns viel zu. Aber nicht mehr, als wir tragen können. Und hilft uns immer wieder durch. Hab's heute Morgen wieder gemerkt, als ich so deprimiert war. Da fiel mir ein Lied ein, ich sang, und noch ein Lied und noch eins, und mit jedem stiegt die Stimmung. Wo ist also Gott? Als unsichtbarer Begleiter immer bei uns - wenn wir ihn gewähren lassen. Nein, nichts aus dem Lehrbuch, sondern aus der Lebenserfahrung.

Hesekiel gibt eine andere Antwort: "Ich will unter ihnen wohnen und will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein." Nicht nur persönlich bei Einzelnen, sondern beim Gottesvolk, bei der "Gemeinschaft der Heiligen" des Glaubensbekenntnisses. Die Gemeinschaft, Freunde, ein Kollege, hat uns damals in der Zeit der Trauer nicht allein gelassen. Das war viel wert. In die Gemeinschaft im CVJM konnte ich mich einbringen und sie hat meinen Glauben gestärkt. Meine Frau und meine Familie sind mir heute viel wert. Gott begegnet uns auch im anderen Menschen.

Aber er hat keinen festen Wohnsitz. Er ist nicht mein Untermieter und gehört mir nicht. Er kehrt ein, wo wir ihn einlassen, bleibt als Gast und wandert weiter. Wie die "Leute im Radioapparat", wie ich mir das als Kind vorgestellt hatte: Die wohnten nicht dort, sondern kamen, redeten und gingen wieder. Wahrscheinlich durchs Kabel.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner