Monatsspruch März 2018

Jesus rief am Kreuz: "Es ist vollbracht!" (Johannes 19,30)

Liebe Leserin, lieber Leser,

"Geschafft!", habe ich manches Mal gesagt, wenn eine schwierige Arbeit erledigt war, "fertig, und was machen wir jetzt?" - "Ich bin hindurch", sagte Luther, als er auf dem Reichstag zu Worms Standfestigkeit bewiesen hatte. -"Ich werd's doch noch packen!" sagte meine Großtante immer wieder auf dem Sterbebett. Ihr Ziel: Sie wollte genau ein Jahr nach ihrer Schwester sterben - und hat es gepackt. - "Es ist vollbracht", sagte Jesus als letztes Wort am Kreuz, kurz bevor er starb.

Er hatte es nicht drauf angelegt zu sterben, bevor ihm die Soldaten wie den beiden Verbrechern neben ihm die Beine zerschlugen. - Er hat eine Bewährungsprobe bestanden wie Luther und hat sich nicht irre machen lassen vom Gespött seiner Gegner. Und wenn er rief: "Mein Gott, warum hast du mich verlassen", war das kein Verzweiflungsschrei, sondern er fing an den 22. Psalm zu beten, der voll Gottvertrauen und Hoffnung endet. - Er sagte auch nicht "geschafft, fertig, und jetzt?" sondern "Es ist vollbracht, mein Lebenswerk ist vollendet."

Viel Zeit hatte er nicht. Er wurde wenig älter als 30, dann hing er nach noch nicht mal drei Jahren am Kreuz. Mohammed wirkte über 30 Jahre, Luther 29. Sie konnten ihre ursprünglichen Ideen breit darlegen, die Welt verändern und geschlossene Gedankengebäude errichten, die dann für ihre Anhänger maßgeblich wurden, bis heute. Welche Chancen hatte Jesus in seinen paar Jährchen? Er konnte sein Lebenswerk nicht vollenden, es blieben von ihm nur ein paar Anregungen, nach denen wir uns richten können. Aber dieser scheinbare Nachteil wurde für uns zur großen Chance: Jesus brauchte keinen neuen Staat zu gründen, denn es gab ja schon einen, und das Leben war bis in die Einzelheiten geregelt. Er hat nur bei Gelegenheit zu damals aktuellen Fragen Stellung genommen, aber keine neuen Gesetze erlassen. Er hat das Abendmahl eingesetzt, aber keine Anweisungen gegeben, wie, wo und wann es gefeiert werden soll. Er hat 12 Apostel berufen, aber keine Kirchenordnung aufgestellt.

Vorteil für uns: Wir sind nicht ein für allemal an ein rasch veraltendes Gesetzeswerk gebunden. Nur die Grundlagen hat Jesus gelegt, alles andere sind spätere Zutaten, von den Aposteln, Gelehrten, Bischöfen Päpsten, Reformatoren und so weiter. Und der Nachteil: Wir müssen uns immer neu überlegen: "Was würde Jesus dazu sagen?"

Jesu Lebenswerk war nicht fertig, aber vollendet, weil es unvollendet war. Das ist aber noch nicht alles. Das wichtigste kommt noch: Noch wichtiger als das, was Jesus langfristig erreicht hat, sind die Weichen, die er durch sein unschuldiges Leiden und Sterben gestellt hat: Er hat uns mit Gott versöhnt, haben die Alten gesagt. Die Jungen begehren dagegen auf. "Wegen mir hätte er nicht sterben müssen" hat jemand protestiert. Klar, er starb nicht, um uns zu versöhnen, sondern weil man ihn für einen Terroristen hielt. Und weil vielleicht ein paar seiner Mitläufer mit dem damaligen Terrorismus und die Hoffnung auf einen "Gottesstaat" geliebäugelt hatten. Für mich hängt mit dem "König der Juden" auch der Kampf für eine vermeintlich bessere Welt am Kreuz. Alle Versuche die Welt zu verändern haben nichts gebracht. Das Rezept Jesu war ein anderes: Nicht die Welt und die anderen müssen sich ändern, nein ich muss nicht so bleiben, wie ich bin. Ich kann den Willen Gottes ohne großes Tamtam in meinem Leben verwirklichen, aber nicht mit "Friede, Freude, Eierkuchen", sondern als Kreuzdenker und Querkopf, der den Weg seines Herrn geht und deshalb aneckt.

Im Mittelalter versuchte man Versöhnung so zu erklären: Gott liebt zwar die Welt, aber er ist auch gerecht und muss daher Übeltäter bestrafen. Das ist ein echter Konflikt, den ich selbst mal ausgestanden habe: Eine Konfirmandin aus schwierigen Verhältnissen kam nicht mehr. Ich musste das vor den Kirchenvorstand bringen. Die sagten: "Sie wird nicht konfirmiert." Erst war ich der Ankläger und jetzt musste ich die Rolle wechseln und sie verteidigen. In so einem Konflikt, sagte man, befand sich auch Gott. Da sprach Jesus: "Papa, verhau mich und lass die Menschen in Ruhe." Er spielte den Blitzableiter und Prügelknaben.

Ich versuche das anders rum zu sehen: Jesus hat nicht Gott mit uns versöhnt, sondern mich mit Gott, und dich auch. Ich brauche nicht mit meinem Schicksal zu hadern, sondern kann mich getrost in Gottes Hand legen. Die Welt ist halt mal so, dass sie mir nicht immer gefällt, und sogar Gott kann es nicht allen recht machen. "Weiß ich den Weg auch nicht, du weißt ihn wohl, das macht die Seele still und friedevoll… Du weißt den Weg für mich, das ist genug."

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner