Monatsspruch Mai 2019

Es ist keiner wie du, und ist kein Gott außer dir. (2. Samuel 7,22)

Liebe Leserin, lieber Leser,

auch wenn es Gott nicht geben sollte und mein Glaube weiter nichts wäre als eine irrige Wahnvorstellung, so gibt er mir doch einen festen Halt und hat sich bewährt. Dann aber handelt es sich nicht um eine "haltlose" Illusion, sondern dann muss es den, an den ich glaube, auch wirklich geben. Das ist fast ein Gottesbeweis: "Ich glaube, also gibt es Gott."

Ich glaube an eine unsichtbare Welt des Geistes, den "Himmel", der jenseits der Grenzen meiner Erkenntnis liegt. Alles, was hinter dieser Grenze in der anderen Welt ist und was aus dieser Welt zu mir rüber kommt, nenne ich Gott. Ich kann drüben keine Einzelheiten erkennen und nehme an, dass das, was die andere Welt ausfüllt, Gott ist und weiter nichts, wie das, was das Meer ausfüllt, Wasser ist und weiter nichts. Ich sehe auf dem Meer zwar einzelne Wellen und kann auch einzelne Zustände des Wassers unterscheiden, aber im Grunde ist es eine einheitliche Substanz, die das Meer ausfüllt. So stelle ich mir auch den Himmel vor. Gott ist einer und Gott ist einheitlich und unteilbar. Neben Ihm hat im Himmel nichts Platz.

Und was ist mit Teufel und Engeln? Der urtümliche Mensch hatte für die andere Welt noch ein besseres Organ als wir. Wir dagegen richten unsere ganze Aufmerksamkeit auf das Diesseits. Es hat aber lange gedauert, bis man erkannte, dass das, was aus der anderen Welt rüber kam, Erscheinungsformen ein und desselben Wesens waren. So erlebte man nicht Gott und redete nicht von "Gott", sondern von Geistern, Dämonen, Engeln. Das ist etwa so, wie wenn wir den einzelnen Wellen auf dem Meer Namen geben wollten, statt sie als Erscheinungsformen des einen Wassers im Meer zu begreifen.

In einem späteren Entwicklungsstadium, als man die Einheit Gottes längst begriffen hatte, versuchten die Menschen, in der einheitlichen Substanz, welche die andere Welt ausfüllt, Konturen zu erkennen. Sie schnitzten sich ihr Gottesbild zurecht und stellten Forderungen auf, wie Gott sein müsste: "Gott ist das absolut Gute". Die "Abfallprodukte" dieser "Schnitzerei" ergaben das absolut Böse, also den Teufel, sowie viele, viele "Späne", die man Engel und Dämonen nannte.

Wir haben also die Wahl:

1. Wir konzentrieren uns ganz aufs Diesseits, machen Augen und Ohren zu vor der anderen Welt und behaupten: "Es gibt keinen Gott."

2. Wir schnitzen uns einen Gott nach unseren Vorstellungen und müssen uns dann fragen, wie dieser Gott sich mit unseren Erfahrungen vereinbaren lässt. - "Ich stelle mir Gott als absolut gut vor und wünsche, dass er mich beschützt. Wie kann er zulassen, dass es mir schlecht geht?" Der Fehler liegt doch wohl nicht an Gott, sondern an meinem Denken. Ich habe dann eine unzutreffende Vorstellung von Gott. Das ist ungefähr so, wie wenn ich unzutreffende Vorstellungen vom Fahrplan habe und dann drüber schimpfe, dass der Busfahrer sich nicht danach richtet.

3. Ich verzichte darauf, Gott vorzuschreiben, wie Er sein muss, damit ich an Ihn glauben kann. Ich gestehe Ihm zu, dass Er Seinem Namen Ehre macht und derjenige "ist, der Er ist" (2. Mose 3,14). Ich nehme Ihn so, wie Er ist und akzeptiere wie Hiob 2,10, dass auch das Böse aus Seiner Hand kommt.

Letzte Frage: Was ist dann mit Jesus, Maria, den Heiligen, unseren Lieben - und was geschieht mit uns selbst, wenn wir in den Himmel kommen, wenn der Himmel doch schon ganz ausgefüllt ist mit Gott und für Engel usw. kein Platz mehr ist? Eine ganz einfache und doch schwierige Antwort: Der ganze Ozean ist ausgefüllt mit Wasser und er besteht aus Wasser und weiter nichts. Und trotzdem wimmelt's drin von Fischen! Warum sollen Wesen dieser Welt nicht in Gott sein können wie die Fische im Wasser? Und warum soll Gott nicht auch in unsrer Welt sein können wie Regen, Grundwasser, Flüsse und Seen auf dem Festland?

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner