Monatsspruch Februar 2021

Freut euch darüber, dass eure Namen im Himmel verzeichnet sind! (Lukas 10,20)

Liebe Leserin, lieber Leser,

als Religionslehrer musste ich Noten geben und führte daher Buch über die Leistungen der Schüler: Pluspunkte für gewusst und mitgemacht, Minuspunkte für nicht gewusst oder gestört. Und am Ende des Halbjahrs wurde abgerechnet in Zeugnisnoten. Auch der Nikolaus meiner Kindheit hatte Buch geführt und gute und böse Taten notiert und dann abgerechnet, die guten Kinder wurden belohnt und den bösen drohte die Rute. Meine vorlaute Kusine hat er mal in den Sack gesteckt und mitgenommen. Und so stellen wir uns auch Gott vor: Er führt Buch und rechnet eines Tages ab, am Jüngsten Tag: "Komm du frommer und getreuer Knecht" oder "Geh hin, du Verfluchter, ins ewige Feuer." Wobei's die Katholiken besser haben: Die bekommen nicht gleich "lebenslänglich" ewiges Feuer, sondern je nach Schwere der Schuld mehr oder weniger langes Reinigungs-, Fegefeuer.

Auch nach Jesus führt Gott Buch, aber nur eine Liste, ohne Bewertung: das Buch des Lebens. Wer und was drinsteht, wissen wir nicht, aber Jesus sagt: Ihr, meine Nachfolger steht drin. Gott hat euch nicht vergessen und wird euch nicht vergessen, und wenn ihr nach eurem Tod zu ihm zurückkommt, dann freut er sich, dass ihr wieder da seid, wie sich der Vater freute, dass der verlorene Sohn wieder den Heimweg gefunden hatte.

Im Gleichnis Lukas 15,11-32 ließ sich der Sohn sein Erbe auszahlen und zog in ein fremdes Land. Und als das Geld alle war, ging er wieder heim. Der Vater freute sich, dass er kam, fragte nicht, was er mit dem Geld gemacht hatte, und wollte es auch nicht wiederhaben. So geht's uns, wenn wir wieder zu unserm Schöpfer zurückkehren. Das Kapital, das er uns mitgegeben hatte, sind unser Körper und unsre Fähigkeiten. Mein Körper ist nicht mehr so taufrisch wie früher, ein Verschleißartikel, und Gott fragt gewiss nicht: "Was hast du damit gemacht, hast du auch fleißig Sport getrieben? Warst du auch regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung? Hast du ihn immer gepflegt und auf dein Aussehen und die schlanke Linie geachtet?" Egal wie, wenn ich zu Gott zurückkomme, hab ich keinen Körper mehr. Er sagt auch nicht: "Zeig mal deine Papiere, Schulzeugnisse, polizeiliches Führungszeugnis, Arbeitsnachweis, Ehrungen, Kontoauszug..." Und auch nicht, was du mit deinen Talenten gemacht hast, ob du dich selbst verwirklichen konntest oder vor lauter Arbeit nicht dazu gekommen bist. Wichtig ist allein, dass du den Heimweg gefunden hast.

Aber ich stelle mir vor, dass er dann sagt: "Lass mal sehen, was aus dir geworden ist." Denn er hat uns nicht als perfekte Kunstwerke geschaffen, sondern nur als Rohlinge mit Ecken und Kanten. Das Leben schleift uns dann so ab, wie Gott uns haben wollte.

In der Kirche von Leeheim steht ein mittelalterlicher Altaraufsatz. Auf dem ist einer abgebildet, der seinen Kopf unterm Arm trägt, der heilige Alban von Mainz, der enthauptet wurde, weil er an Jesus glaubte. Und Jesus wird nicht dargestellt als Athlet mit durchtrainiertem Körper, sondern als geschundener Schmerzensmann. Jugend und Schönheit zählen vor Gott nicht, sondern wie wir uns im Leben bewährt haben. Der kaputte Rücken der Erzieherin, die schwieligen Hände des Arbeiters, die Falten im Gesicht zeugen von dem, was ein Mensch im Leben für andere getan hat. Deswegen ist ein abbener Kopf im Himmel keine Schande, sondern eine Ehre. Dort zählt nicht, wie du dich gehalten, sondern wie du dich eingesetzt hast.

Was von uns übrig bleibt, ist unser Name. Mein Elternhaus steht in der Nähe des Friedhofs, da war ich oft. Die Erwachsenen erzählten mir Geschichten von den Toten. Da war lange ein Kindergrab mit fremdartigem Namen: das bald nach der Geburt gestorbene Kind einer polnischen Zwangsarbeiterin. Eine ganze Anzahl Gräber erinnerten an Menschen, die beim letzten Angriff umgekommen waren. Da ist auch noch das Familiengrab mit meinen Großeltern, Eltern und meiner Schwester.

Für uns heute ist es selbstverständlich, dass unsre Namen in staatlichen und kirchlichen Listen stehen. Und dass Geheimdienste und Datenschnüffler überall ihre Nasen hineinstecken. Mir war es immer egal, was andere über mich erfahren oder was die Leute über mich reden. Ich lebe mit dem Gedanken, dass auch Gott mich beobachtet und genau kennt, besser als ich mich selbst. Sein Urteil allein ist entscheidend. Und dass er auch über mich seine Notizen gemacht hat, im Buch des Lebens.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner