Monatsspruch Mai 2021

Öffne deinen Mund für den Stummen, für das Recht aller Schwachen! (Sprüche 31,8)

Bitte das ganze Kapitel lesen!

Liebe Leserin, lieber Leser,

am 9. Mai ist Muttertag, wenigstens einmal im Jahr sollen wir würdigen, was unsre Mütter für uns getan haben. Meine Mutter war eine gescheite Frau und stand mir nicht nur während der Schulzeit, sondern auch im Studium als Gesprächspartnerin zur Verfügung. Obwohl sie "nur" Volksschulbildung hatte. Ihre Ratschläge haben mir jungem Hitzkopf sehr geholfen: "Du musst nicht alles sagen, was wahr ist, aber alles, was du sagst, muss wahr sein. - Sag die Wahrheit mit Liebe. - Versuch die anderen zu verstehen. - Steh hinter dem, was du glaubst und predigst."

Die Bibel hat ein ganzes Kapitel reserviert für Worte, die König Lemuel von seiner Mutter gelernt hatte (Sprüche 31). Ich stelle mir einen damaligen König vor: Unglaublich mächtig. Seine Untertanen gehorchen ihm aufs Wort. Und unglaublich reich. Er hat alles, was das Herz begehrt: einen Keller voll Wein, einen Harem voll Frauen und jeden Abend eine rauschende Party. Vielleicht auch Schulden wie die Pfalzgrafen. Wenn man so eine hohe und sichere Stellung hat, kann man das Leben in vollen Zügen genießen. Stimmt's?

"Lemuel", sprach die Frau Mama, "so sollst du nicht sein. Hast du mich verstanden? Denk nicht an dich, sondern an die Menschen, die dir anvertraut sind. Vergeude deine Kraft nicht mit Frauen und überlass den Wein denen, die Kummer haben. Du brauchst Energie und einen kühlen Kopf zum Regieren."

Und wie macht man das, regieren? Indem man auf seinem Thron sitzt, sich von seinen Dienern die Füße küssen lässt, Erlasse unterschreibt und Staatsgäste empfängt? Oder im Kabinett den Ministern und Sachbearbeitern das Wort erteilt? Die Königinmutter hatte andere Vorstellungen: "Tu deinen Mund auf für die Stummen und für die Sache aller, die verlassen sind. Tu deinen Mund auf und richte in Gerechtigkeit und schaffe Recht dem Elenden und Armen." Der König war auch der oberste Richter. Seine vornehmste Aufgabe war die Rechtsprechung.

Mein Opa war nur "ungebildeter Bauer", aber er hat den kleinen Leuten nach dem 1. Weltkrieg geholfen Anträge auf Unterstützung zu schreiben. Er hat zwar nicht den Mund aufgetan, aber die Feder in die Hand genommen für Leute, die nicht so gut schreiben konnten. Es gibt auch heute noch Menschen, die können zwar schreiben, tun sich aber mit dem Formulieren schwer.

Und was fange ich damit an? Hätte ich als Pfarrer "Unrecht anprangern" sollen? In der Predigt über Abwesende schimpfen? Jesus hat uns einen anderen Weg gezeigt: zuerst mit dem "Sünder" unter vier Augen reden (Matthäus 18,15-17). Ich musste ein paarmal das Fehlverhalten einer Gruppe oder eines Gremiums tadeln und sagen: "So geht das nicht!" Aber das waren Ausnahmen, nicht die Regel.

Magere acht Verse redet Lemuels Mutter von den Aufgaben eines Königs. Aber dann legt sie los in zweiundzwanzig Versen mit dem "Lob der tüchtigen Hausfrau", die nicht nur einkauft und kocht, sondern auch Textilien herstellt und verkauft und das Vermögen der Familie verwaltet.

O weh, das darf man heute gar nicht laut sagen, und deshalb haue ich jetzt mal in die Tasten und breche eine Lanze für die Mütter und Hausfrauen: Meine Uroma war Handarbeitslehrerin. Die Mädchen in der Volksschule lernten, wie man Hausarbeit macht: stricken, einfache Sachen selbst nähen, schadhafte Stellen ausbessern, saubermachen, kochen, Vorratshaltung und vieles andere. Das waren lebensnotwendige Tätigkeiten, und umweltschonend dazu. Meine Mutter war "nur Hausfrau" und mein Vater hat nicht viel verdient, aber er konnte seine Familie ernähren, und meine Eltern haben uns Kindern eine gute Ausbildung ermöglicht. Die kleinen Leute, die die Dreckarbeit machen, sind für das tägliche Leben wichtiger als die großen, die es in hohe Positionen geschafft haben.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner