Monatsspruch September 2021

Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. (Matthäus 6,10)

Liebe Leserin, lieber Leser,

kennst du den Unterschied zwischen einem Bahnhof und einer Autowerkstatt? - Im Bahnhof warten die Fahrgäste, und die Werkstatt hat einen Wartungsdienst.

Im Vaterunser beten wir, dass das Reich Gottes kommt, dass Gottes Wille auch wirklich geschieht. Die Jünger haben sich das zu Herzen genommen und haben drauf gewartet; Christen aller Zeiten haben auf das Reich Gottes und die Wiederkunft Jesu gewartet. In der Art, wie sie warten, können wir zwei Arten von Christen unterscheiden:

Die Bahnhofschristen

Die Bahnhofschristen sitzen da und warten, bis etwas kommt, und vertreiben sich derweil die Zeit. Da es keinen Fahrplan gibt wie auf dem Bahnhof, müssen sie immer bereit sein, wenn der Zug kommt, damit sie ihn ja nicht verpassen. Sie müssen sich also so einrichten, dass sie jederzeit aufhören können, dass sie jederzeit Rechenschaft ablegen können, über das, was sie bisher gemacht haben.

Die Wartenden auf dem Bahnhof vertreiben sich die Zeit, indem sie lesen, aufs Handy gucken, sich unterhalten. Die Bahnhofschristen vertreiben sich die Zeit, indem sie ihrer Arbeit nachgehen, Möbel herstellen, Kleider verkaufen oder Anträge bearbeiten. Was die Bahnhofschristen tun, hat aber keinen Einfluss auf die Ankunft eines Zuges. Ob sie ihrer Arbeit nachgehen, demonstrieren oder den Bahnhofsvorsteher absetzen - sie können den Zug nicht herbeizwingen.

Die Autowerkstattchristen

Die Monteure in der Autowerkstatt warten auch, aber nicht auf Kunden und Aufträge, sondern sie warten Autos, d. h. sie sorgen dafür, dass die Autos ihrer Kunden fahren können. Die vertreiben sich also nicht mit Autoreparieren die Zeit und warten auf etwas anderes, z. B. auf den Feierabend oder Urlaub; sie warten nicht auf die Autos, sondern sie warten die Autos.

So ist es auch mit den Autowerkstattchristen: Sie warten nicht auf das Reich Gottes, sondern sie warten das Reich Gottes, sie verwirklichen das Reich Gottes, sie machen Ernst damit. Wie sieht das aus?

Jesus hat sich die Freiheit genommen, das zu tun was er für Recht und Gottes Willen erkannte: Gott will nicht, dass Menschenleben daran scheitern, dass Menschen krank werden: Darum hat Jesus Kranke geheilt. - Gott will nicht, dass Menschen wie Dreck behandelt werden: Darum hat sich Jesus den Verachteten zugewendet. - Gott will nicht, dass wir stur irgendwelche Prinzipien durchsetzen, auch wenn Menschen darüber zugrunde gehen: Darum hat sich Jesus über diese Prinzipien hinweggesetzt. - Gott will nicht, dass wir unser Recht mit Gewalt durchsetzen: Darum hat sich Jesus widerstandslos kreuzigen lassen. - Gott will nicht, dass der Mann seine Frau einfach davonjagen oder sitzen lassen kann: Darum hat Jesus die Unauflöslichkeit der Ehe betont.

Wenn Jesus vom Reich Gottes redet, meint er weiter nichts, als dass Gottes Wille geschieht. Gottes Reich ist da, wo wir tun, was Gott will.

Daraus wird klar, dass wir nicht wie die Bahnhofschristen warten dürfen, bis etwas geschieht (auch wenn wir zwischendurch die Zeit mit nützlichen Beschäftigungen ausfüllen). Gottes Reich kommt nur dann, wenn wir es verwirklichen, wenn wir Gottes Willen tun, wenn wir nicht auf das Reich Gottes warten, sondern wenn wir wie die Autowerkstattchristen das Reich Gottes warten. Die Bahnhofchristen können nur deshalb meinen, Jesus habe sich getäuscht und das Reich Gottes sei ausgeblieben, weil sie nur darauf gewartet, es aber nicht verwirklicht haben.

Man kann ja auch einen Zug verpassen, weil man zu spät kommt. Und dann? Wartet man auf den nächsten. Oder es heißt: "Zurückbleiben bitte, der Wagen ist besetzt", für dich ist kein Platz mehr. So hab ich das mehrfach bei der Straßenbahn erlebt. Aber einmal kam kurz danach auf einem anderen Gleis ein Einsatzwagen, der die zurückgebliebenen Fahrgäste mitnehmen sollte. Ich sah ihn rechtzeitig, stieg ein und fuhr als einziger Passagier durch ganz Darmstadt. Und ein andermal kam ich angerannt und erwischte die Elektrische nicht mehr. Du wirst es nicht glauben: Da fuhr mich ein Polizist mit seinem Motorrad dem Wagen hinterher, bis ich einsteigen konnte.

Andrerseits müssen die Leute in der Werkstatt auch nicht schuften bis zum Umfallen, sondern sie haben auch mal Feierabend und Urlaub. Sehr zum Ärger von Kunden, denen es nicht schnell genug geht.

Bei Gott gibt es kein zu spät und auch keinen Leistungsdruck.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner