Feriengemeinschaft Dornholzhausen "Gefangen in Babylon"

01. - 14.07.1991

Gruppenfoto Mit 52 Kindern (darunter auch acht Aussiedlern) und neun Betreuern waren wir vierzehn Tage lang Gäste im Paul-Schneider-Heim in Dornholzhausen. Thema der diesjährigen CVJM-Feriengemeinschaft war die Babylonische Gefangenschaft, illustriert hauptsächlich an Hand von Geschichten aus dem Buch Daniel und dargestellt von den leibhaftigen Propheten Daniel und Hesekiel. Den Kindern wurde schon im Bus klar gemacht, dass sie jetzt zwangsweise nach Babylon verschleppt würden und dort heimisch werden sollten. Im Paul-Schneider-Heim angekommen, wurden sie in einem "Notaufnahmelager" untergebracht und mussten erst mal einen Einbürgerungsantrag ausfüllen und verschiedene Behördengänge erledigen: Ordnungsamt, Einwohnermeldeamt, Wohnungsamt, Gesundheitsamt, Schatzhaus. Überraschend schnell, in nur zwei Stunden, hatte jeder Teilnehmer einen babylonischen Pass mit einem den babylonischen Gewohnheiten angepassten Namen und das babylonische Bürgerrecht. Nun war für jeden der Weg frei, in diesem orientalischen Staat was zu werden. In einer Art Olympiade mussten die Kinder sich einem "Offiziellen Test über die Denk- und Arbeitsfähigkeit der neu eingebürgerten Judäer im Königreich der Chaldäer zu Babylon" unterziehen, den alle bestanden, und der zum Studium an der "Königlich-Chaldäischen Schreiber-Akademie" berechtigte. Ihre Schreibkünste durften die Kinder später auf Tontafeln in Original-Keilschrift versuchen.

HaarbändchenIn den folgenden Tagen gab es genug Gelegenheit, sich durch Dienste für die Allgemeinheit für die höchsten Staatsämter zu qualifizieren. So drängelten sich viele freiwilligen Helfer zum Geschirrspülen; die Babylonische Feuerwehr machte sich nützlich bei Wasserschlacht und Lagerfeuer; der MÜV (Müllüberwachungsverein) sortierte Abfälle und der Fernsehsender "Haus der Weitschau zu Larsa" konnte sich über mangelnde Mitarbeit nicht beklagen. Andrerseits musste das Ordnungsamt viele Rügen für schlecht aufgeräumte Zimmer verteilen. Diese babylonischen "Städte" erinnerten oft mehr an die Sintflut als an das Paradies.

Unter der Regie von Clemens Tischner brachte das "Haus der Weitschau zu Larsa" jeden Abend eine Tagesschau mit den wichtigsten politischen Ereignissen vom Aufstieg und Niedergang des neubabylonischen Reiches im 6. vorchristlichen Jahrhundert, originell verknüpft mit Szenen aus dem Tagesprogramm. So wurde ein Lagerfeuer als Illustration für die Geschichte von den drei Männern im Feuerofen (Dan. 3) verwendet; Wasserspiele wurden dargestellt als Vorführung neuer Bewässerungsmethoden auf einer Landwirtschaftsausstellung. Aus einem Einkaufsgang wurde eine Handels-Expedition nach Indien und aus einigen Szenen vom Tagesausflug zur Burg Greifenstein und nach Herborn entstand eine kleine Geschichte von der Befreiung eines Teilnehmerin aus einem eisernen Käfig und einem Sieg über die Kidnapper "unter massivem Einsatz von Wasserwerfern", wobei die Befreite "mittelschwere Verletzungen erlitt", d. h. ziemlich nass wurde. Selbstverständlich durften auch die von den Betreuern dramatisch dargestellten Geschichten von Daniel in der Löwengrube (Dan 6) und dem Gastmahl Belsazers (Dan. 5) nicht fehlen. Völlig chaotisch wurden die Nachrichten, als es um die Eroberung Babylons durch die Perser ging. Die babylonischen Durchhalteparolen wurden von einem persischen Störsender unterbrochen. Dann entschuldigte sich ein Sprecher für diesen "technischen Defekt" und musste schließlich als neuste Meldung durchgeben, dass der persische Schah Kyros jetzt König von Babylon sei. Stilgemäß zum Programm gehörte gemäß Dan. 1 ein Vegetarischer Tag, wie in Dan. 3 die Herstellung großer Statuen aus Holz und Heu, der Bau eines Turms von Babel (1. Mose 11) als moderne Holzkonstruktion und ein Gottesdienst "An den Wassern zu Babel" (Ps 137).

Psalm 137
An Babels Wassern saßen wir, / in Tränen wir ausbrachen / und waren am Verzweifeln schier, / wenn wir von Zion sprachen. / Zum Singen stand uns nicht der Sinn, / wir hängten unsre Harfen hin / dort an die Weidenbäume.
"Singt uns ein Lied von eurer Stadt", / befahlen unsre Wachen, / die man uns beigegeben hat; / "dann könnt ihr wieder lachen." / - "Wir singen hier kein Lied von Gott, / ihr treibt mit uns ja doch nur Spott / in diesem fremden Lande."
Ich will dich nie und nimmermehr, / Jerusalem, vergessen. / Ich gab ja alles für dich her. / Das kann nur der ermessen, / der einst in dir, o heilge Stadt, / gebetet und gesungen hat. / Nach dir steht mein Verlangen.
(Melodie: Aus tiefer Not)

GeburtstagUnter dem letzten babylonischen König fand mit viel Gepränge eine Massenhochzeit von Teilnehmern statt, die vor dem Standesamt Schlange stehen mussten. Nach der Machtübernahme des Schahs wurden diese Ehen zwei Stunden später aber gleich wieder für null und nichtig erklärt.

Ihren Lohn für ihre Bemühungen bekamen die Kinder am Abschlussabend. Bei einem feierlichen Hofakt wurden die ranghöchsten Teilnehmer in ihre Ämter eingesetzt.

Als am vorletzten Tag ein Herold verkündigte, die "gefangenen Judäer" dürften jetzt bald wieder in ihre Heimat zurückkehren, waren neben verhaltenem Jubel auch Buhrufe zu hören. Einige Kinder wären gern noch länger geblieben.

Heinrich Tischner (aus Kirche am Ort September 1991)

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