Eine halbe Stunde später erreiche ich das etwas oberhalb des Ortes gelegene Ferienheim der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald - unser Domizil für die nächsten zwölf Tage. Ein langgezogenes, niedriges Gebäude, in dem Duschen, Küche, Speiseraum und die Zimmer der Kinder untergebracht sind, gegenüber ein rundes Gebäude, mit Kaminraum und Barfüßer-Gang - und etwas abseits die Nurdachhütten, in denen die Mitarbeiter bzw. ein Teil der Jugendfreizeit schläft. Außerdem gehören Feuerstelle, Basketballkorb, Partner-Schaukel, Feld-Wald-Wiesen-Kegelbahn und eine Sport-Lichtung zum Gelände. Nicht zu vergessen der Teich im Hof, in dem die Kinder stundenlang selbstgebaute Holz-Schiffchen fahren lassen.
Der restliche Nachmittag vergeht für uns Mitarbeiter damit, das Freizeitmaterial auszuladen und einigermaßen übersichtlich in unserer Schlafhütte zu deponieren. Währenddessen richten Kinder und Jugendliche ihre Quartiere ein, die Jugend-Mädchen bauen ihr Zelt auf, Julia sorgt in der Küche für die erste Mahlzeit. Die Teilnehmer der Kinderfreizeit treffen sich bereits vor dem Abendessen zu einer ersten Geländebesichtigung, wir Älteren sitzen erst im Laufe des Abends zur Kennenlern-Runde zusammen.
Das ist übrigens eine Neuerung auf dieser Fahrt: Kinder- und Jugendfreizeit finden zur selben Zeit am gleichen Ort statt, haben aber unterschiedliche Mitarbeiter und jeweils eigene Tagesprogramme.
Zu unserer Jugendfreizeit gehören neben den Mitarbeitern Clemens, Julia und Gerrit: Christiane, Kathrin, Sabrina, Steffi, Florian, Marcus und Tobias .
Während der ersten Spiele im Laufe des Abends lernen wir uns schnell kennen, ebenso bei unseren Singversuchen, bei denen nahezu jeder einen anderen Melodiezipfel erwischt!
Clemens führt in die Bibelarbeitsreihe "Natur in der Bibel" ein ("Was die Bibel ist, wissen wir alle. Aber was ist eigentlich Natur?") und schließlich wird der Abend (offiziell) mit dem "Blitzlicht" beendet. Blitzlicht? Ein gemeinsamer Tagesrückblick, bei dem jeden seine persönlichen Eindrücke loswerden kann - ohne Kommentare der Anderen.
Die nächsten beiden Tage vergehen großenteils damit, die Umgebung zu erkunden. Mancher lernt nicht nur die Umgebung, sondern auch die eigenen Grenzen bzw. die des Fahrrads kennen…
Wir erkunden einen Teil des engen Ourtales, einige wagen einen "schwarzen" Grenzübertritt - barfuß durch den Fluss! An einem schmalen Bach bauen wir eine "Brücke" (kaum verdient das Bauwerk diesen Namen!), anschließend vergnügt sich jeder auf seine Weise: während einige einen Staudamm bauen oder auf der (leider erfolglosen) Suche nach Flugkrebsen sind, spritzen andere sich patschnass!
"Patschnass" ist das Stichwort: Schon am Sonntag fegte nach einem warmen Vormittag ein Gewittersturm über uns hinweg, der beinahe das Zelt entführt hätte, es so aber zumindest mit fließend Kaltwasser versorgte. Mit etwas gutem Willen könnte man eine solche Durchspülung auch als "Grundreinigung" bezeichnen, eine Maßnahme, der wir selber uns einige Tage später - eher unfreiwillig - auch unterzogen: Wir waren gemeinsam mit der Kinderfreizeit unter der Führung von Forstwirtschaftsmeister Mombach auf einem Waldparcours unterwegs, als es wie aus Eimern zu schütten begann! Wir waren durchnässt bis auf die Haut! Da das Wetter in der Folge so durchwachsen blieb, neigte sich in den Koffern der Vorrat an trockenen und sauberen Klamotten bei einigen doch bedenklich dem Ende zu. Schließlich begannen wir im Kaminraum tagelang zu heizen, um unsere Wäsche wieder zu trocknen.
Das Wetter machte uns mehr als nur einen Strich durch die Rechnung: unser geplantes Freizeitprogramm musste mehrmals am Tag umgestellt und dem Wetter angepasst werden! So hielten wir einen Abend Premiere mit "Indoor-Stockbrot" am Kaminfeuer. Ein Ausflug in Vianden (Luxemburg) fiel ins Wasser, nachdem wir dort im Auto eine Stunde auf ein Ende des strömenden Regens gewartet hatten. Wenigstens konnten wir auf der Rückfahrt in einem Schautunnel Teile eines Wasserkraftwerkes besichtigen. Das ein paar Tage später unser Tagesausflug (gemeinsam mit den Kindern) nach Bitburg recht feucht war, lag allerdings nicht (nur) am (Regen-)Wetter - wir vergnügten uns einen ganzen Nachmittag im Erlebnisbad!
Wir waren aber nicht nur unterwegs, auch zuhause konnten wir uns gut beschäftigen: Zum Einen mit Brennball, Quiz, dem "Zettelsuchspiel", mit Uno, Cames und dem Magischen Quadrat, zum Anderen mit verschiedenen kreativen oder handwerklichen Arbeiten. So entstanden in den ersten Tagen der Freizeit ganz unterschiedliche Frühstücksbrettchen - groß und eher klobig, klein und zierlich geschwungen, dick oder dünn, mit oder ohne Loch, mit besonderer Maserung oder eher schlicht. Als Bastelmaterial stand uns Eschen-, Buchen-, Eichen-, Lärchen- und Kiefernholz zur Verfügung. Zur Bearbeitung konnten neben einigem Handwerkszeug auch Bohrmaschine, Schwingschleifer, Stichsäge und Dekupiersäge benutzt werden. Die fertig geschliffene Oberfläche wurde dann mit Öl oder Wachs behandelt.
Während unseres Projekttages bereitete eine Gruppe von vier Jugendlichen mit Julia ein wahres Festessen zu. Neben Chilli-con-carne in Brotkruste gab es gefüllte Tomaten- und Gurkenstücke, verschiedene Beilagen, einen tollen KiBa und einen ebenso tollen Nachtisch!
Die andere Gruppe stellte mit Gerrit aus Rattan und verschiedene Peddigrohrarten geflochtene Einkaufskörbe her. Da gerade die ersten Arbeitsschritte die Schwierigsten der ganzen Herstellung sind, wurde den Flechtern einiges an Geduld abverlangt - allerdings können sich die Ergebnisse nun auch sehen lassen!
In den letzten Tagen der Freizeit entstand unter der Leitung von Clemens ein Drehbuch, das auch gleich verfilmt wurde. Die umfangreichen Dreharbeiten waren mit einigen Hals- und haxenbrecherischen Waldläufen und einer illegalen Grenzüberquerung im Ourtal verbunden. Der Film mit dem Titel "Schnitzeljagd" läuft ab dem 28.9.1997 in jedem Wohnzimmer - sofern man Videorecorder und die entsprechende Kassette besitzt!
Unsere Fahrt war als "Natur-pur-Tour" ausgeschrieben. "Natur pur" heißt, näher an und in der Natur zu leben (dazu gehören auch Regen und Kälte). Und dazu gehört, die Natur besser kennen zu lernen (bzw. das, was ihr schadet) und sie intensiver zu erleben und zu empfinden.
Wir haben aus verschiedenen Gewässern Wasserproben entnommen und mittels Teststreifen auf Wasserhärte und Nitratgehalt geprüft. An der Entnahmestelle haben wir Pflanzen und Tiere am und im Wasser beobachtet und aufgenommen und uns über die unterschiedlichen Gewässerarten unterhalten. Anschließend haben wir die Wasserproben unter dem Mikroskop betrachtet. Leider war die Vergrößerung ein wenig schwach, wir konnten nur im Tümpelwasser Lebewesen entdecken. Aber auch die Hülle der Libellenlarve sah sehr interessant aus!
Natur erfahren haben wir bei unserem Versuch, ohne Zelt auf einer Lichtung zu übernachten. Im Dunkeln haben wir uns einzeln in größerem Umkreis verteilt und bewusst darauf geachtet, was wir hören und riechen und (vielleicht noch) sehen können. Sehr eindrucksvoll war das Wetterleuchten, das später die Lichtung immer häufiger in gleißende Helle tauchte … und uns später mit dicken Regentropfen vom Platz vertrieb.
Aber zwei Nachtwanderungen konnten wir machen: Eine Tour unter Führung von Förster Skischally, der uns u.a. durch einige Wahrnehmungsspiele den Wald näherbrachte und sich nachher auf stockdunklem Trampelpfad (scheinbar) mit den Worten von uns verabschiedete: "Ihr wisst ja, wie's jetzt zurückgeht…".
Bei der anderen Tour sind wir auf einem Waldweg ein längeres Stück ganz alleine gegangen - um uns dann an einem bestimmten Punkt wieder zu treffen. Bei dieser Tour hatten später auch die üblichen Gruselgeschichten ihren Platz.
"Natur in der Bibel?" - Aber natürlich. Beinahe auf Schritt und Tritt. So fiel es nicht schwer, sich jeden Tag mit einer "Naturgeschichte" zu beschäftigen. Sei es die Sturmstillung auf dem See Genezareth oder die Sintflut. Oder die Geschichte von Jona, der vor Gott fliehen will und der erkennen muss, dass Gott größer ist, als er dachte - aber auch großmütiger, als er dachte, denn Gott gibt ihm, eine neue Chance.
Auch Elia lernte Gott in der Natur kennen: er flüchtete vor der Königin Isebel in die Wüste. Dort wollte er alles aufgeben: seine Arbeit und sein Leben. Und dort bzw. später am Berg Horeb, als er ganz unten, ganz fertig war, begegnete er Gott. Nicht Gott in Seiner Allmacht, nicht im Sturm oder im Erdbeben, nicht im Feuer - sondern in einem stillen, sanften Sausen, in einem zärtlichen Windchen.
Die Bibel beginnt sogar mit einem Text über Natur: mit der Schöpfungsgeschichte. Das ergab während der Bibelarbeit ein erbittertes Streitgespräch zwischen Theologen und Biologen: wurde die Erde in sieben Tagen geschaffen oder entstand sie in Milliarden von Jahren? Woher kommt der Urknall? Alles Zufall? Oder steckt eine Macht dahinter, die planend und schaffend gestaltet? Gegen Ende des Abends waren wir uns ziemlich einig, das es nicht sinnvoll ist, Schöpfungsgeschichte und Evolutionstheorie gegeneinander auszuspielen, viel eher lässt sich beides sinnvoll miteinander verbinden.
Für Frühaufsteher und interessierte bot Julia morgens (im VW-Bus) die Möglichkeit, gemeinsam die fortlaufende Bibellese zu lesen, sich darüber auszutauschen und zu beten.
Mit der Kinderfreizeit feierten wir einen gemeinsamen Gottesdienst zum "Gleichnis vom vierfachen Ackerfeld". Die Jugendlichen spielten vor, wie ein Bauer großzügig Samen auswirft: Einige Körner fallen auf den Weg und werden von Vögeln gefressen. Andere Samen gehen auf felsigem Boden schnell auf, verdorren aber nach kurzer Zeit. Wieder andere Samen werden von Dornen und Unkraut überwuchert und gehen ein. Aber einige Samen fallen auf guten Boden, gehen auf, wachsen heran und bringen viel Frucht.
Der Boden ist unser Herz, in das Gottes Wort ausgesät wird. Wie nehmen wir es auf? Was für ein Boden ist unser Herz? Wollen wir Gottes Wort vielleicht gar nicht hören? Verkommt Gottes Wort unter den Problemen unseres Alltags? Oder sind wir guter Boden, lassen Sein Wort aufgehen und leben danach? Lassen wir Ihn die Führung unseres Lebens übernehmen?
Eines hätte ich jetzt beinahe vergessen: wir haben uns in Dasburg nicht nur vergnügt, wir haben auch schwer gearbeitet. Mit Herrn Mombach haben wir einen Tag als Waldarbeiter geschafft und geschwitzt. Es galt, etwa 150 m Wildzaun um eine Schonung abzubauen. Der "Waldmeister" arbeitete mit der Kettensäge vor, wir räumten eine zwei Meter breite Trasse durch's Gehölz, schnitten Sträucher und Ranken weg, lockerten den Draht von den Pfosten und rollten später das Zaungeflecht zu großen Rollen auf. Trotz unserer Arbeitshandschuhe stachen uns die Dornen in die Finger, der Schweiß lief in Strömen - wir alle sehnten uns nach der Dusche. Abends waren wir entsprechend müde, aber zufrieden.
Am letzten Tag begann das freizeitübliche große Aufräumen, Packen, Putzen, Versteigern liegengebliebener Sachen - und dann ging's ab Richtung Heimat.
Gerrit Langenbruch