Monatsspruch Oktober 2009

Gott spricht: Ich schenke ihnen ein anderes Herz und schenke ihnen einen neuen Geist. Ich nehme das Herz von Stein aus ihrer Brust und gebe ihnen ein Herz von Fleisch. (Hesekiel 11,19)

Liebe Leserin, lieber Leser,

können auch herzlose Menschen Herzbeschwerden bekommen? Ich meine nicht Patienten mit mechanischen Kunstherzen, sondern Leute, die kein Herz für andere haben, weder Mitleid noch Barmherzigkeit kennen und nur an sich denken.

Einige von ihnen sind sture Egoisten, die sich für ihren Erfolg rücksichtslos durchboxen und notfalls über Leichen gehen. Das ist ja das Rezept, nach dem Wirtschaft und Politik funktionieren und das wir von Kinderbeinen an eingetrichtert bekommen. Man muss schon sehr im Glauben verwurzelt und hinterm Mond daheim sein, wenn man anders zu leben versucht.

Wir könnten uns bessern, wenn wir wollten. Es gibt aber Menschen, die können es wirklich nicht. Ich denke an drei Typen: Den ersten habe ich in der Jugendstrafanstalt kennengelernt: Jungendliche, die als Kind keine Liebe erfahren haben. Einer sagte wörtlich: "Auf mich hat nie jemand Rücksicht genommen. Warum sollte ich auf andere Rücksicht nehmen?" Ich wusste darauf keine Antwort.

Der zweite Typ kann auch nichts dafür. Es gibt Menschen, die sind sehr emotional, können sich herzlich freuen, furchtbar aufregen und bei einem rührseligem Film Taschentücher nass weinen. Andere können das nicht. Sie zeigen keine Gefühle und haben wahrscheinlich auch keine. Das Temperament ist angeboren.

Der dritte Typ ist ähnlich, nur dass er die feinen Äußerungen der Körpersprache nicht deuten kann. Er merkt nicht, dass er seinen Gesprächspartner in Verlegenheit bringt, er erkennt nicht die Signale für Zuneigung oder Ablehnung, versteht nicht, warum jemand die Stirn runzelt, die Arme verschränkt, sich beim Zuhören zurücklehnt oder vorbeugt. Er achtet nur auf den Sinn der Worte, nicht darauf, wie sie gesagt werden. Er hat das nie gelernt und es fehlt ihm das Einfühlungsvermögen.

Sie alle könnte man "herzlos" nennen, obwohl das wohl den meisten gegenüber ungerecht wäre. Hesekiel schreibt im Monatsspruch aber nicht von herzlosen Menschen, sondern von solchen, die zwar ein Herz haben, aber eins aus Stein. Sie sind nicht fähig, sich etwas zu Herzen zu nehmen und daraus zu lernen. Schon Mose hatte ja das Gefühl, vor tauben Ohren zu predigen: Da meint man es gut und gibt ihnen die zehn Gebote – und kaum ist man mal einen Augenblick nicht da, da machen sie sich ein goldenes Kalb (2. Mose 32).

Ich kann die "halsstarrigen" Israeliten verstehen. Ich mag es auch nicht, wenn man an mir herummeckert und mir Vorschriften machen will. Ich bin alt genug und muss meinen eigenen Weg gehen.

Das Schlimme war ja nicht, dass die Zuhörer nicht gehorchen wollten, sondern dass sie nicht fähig waren, aus ihren Erfahrungen und der Geschichte zu lernen. Behaupteten jedenfalls die Propheten und ihre Nachfolger. Hesekiel klagt aber nicht, sondern kündigt eine Wende an: Gott will seinem Volk neue Herzen geben, nicht mehr aus Stein, sondern aus Fleisch, die fähig sind zu hören und zu lernen. Und er fährt fort: "…damit sie nach meinen Gesetzen leben und auf meine Rechtsvorschriften achten und sie erfüllen. Sie werden mein Volk sein und ich werde ihr Gott sein."

Tatsächlich hat sich seit Hesekiel vieles geändert. Die verschleppten Juden in Babylonien haben angefangen, ihren Glauben und die Thora ernst zu nehmen. Sie haben aus ihrer Geschichte gelernt. Auch unsre Väter haben aus unsrer Geschichte gelernt. Sie haben sich vom nationalsozialistischen Zeitgeist distanziert und zu Jesus Christus als ihren alleinigen Herrn bekannt. Sie hatten nach dem Zusammenbruch die Größe, sich für die Naziverbrechen öffentlich zu entschuldigen, statt zu tun, als wäre nichts gewesen.

Und was ist mit uns heute? Sind wir bei diesem klaren Bekenntnis zu Jesus Christus als allein maßgeblich geblieben? Ich habe eher den Eindruck, dass der Zeitgeist wieder den heiligen Geist verdrängt hat. Da kann man nur noch beten: "Herr, erneuere deine Christenheit – und fange bei mir an. Schenke uns und schenke mir ein neues Herz – ein Herz für dich und für meine Mitmenschen."

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner