Monatsspruch April 2022

Maria von Magdala kam zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den Herrn gesehen. Und sie berichtete, was er ihr gesagt hatte. (Johannes 20,18)

Liebe Leserin, lieber Leser,

dieser Monatsspruch erinnert an den vom Januar "Jesus Christus spricht: Kommt und seht!" (Johannes 1,39). Die zwei ersten Jünger fragten, wo Jesus wohnte, und er lud sie ein mitzukommen. Das steht ziemlich am Anfang des Johannesevangeliums, der neue Spruch ziemlich am Ende.

Die Jünger und Jüngerinnen (ja, die gab es auch) hatten Jesus mehrere Jahre begleitet, "gesehen" und kennengelernt. Und dann wurde er wie ein Verbrecher gekreuzigt. Die Frauen mussten das mit eigenen Augen ansehen. Aus der Traum!

Aber dann geschah etwas, was wir "Auferstehung" nennen. Nicht nur die Evangelien berichten davon, sondern auch Paulus in 1. Korinther 15: Der Auferstandene wurde gesehen zuerst von Kephas (= Petrus), dann von allen 12 Jüngern, dann von 500 Brüdern auf einmal (Pfingstgeschichte), dann von Jesu Bruder Jakobus und allen Aposteln und zuletzt ein paar Jahre später auch von Paulus selbst. Und schließlich sah ihn auch Stephanus, der erste Märtyrer. Als er wegen seines Glaubens vor Gericht stand, sagte er: "Siehe, ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn (=Jesus) zur Rechten Gottes stehen." Apostelgeschichte 7,55

Was die ersten Christen gesehen hatten, war kein wiederbelebter Scheintoter, auch kein Untoter, Geist oder Gespenst, sondern Jesus als himmlische Gestalt. Ähnlich erzählt Lukas von der Bekehrung des Paulus: "Plötzlich umleuchtete ihn ein Licht vom Himmel" (Apostelgeschichte 9,3).

Die hatten's gut, sie haben was erlebt und gesehen. Und wir, fast 2000 Jahre später? Jetzt könnte ich schreiben: "Wenn's in der Bibel steht, wird's wohl wahr sein, das müssen wir halt glauben und können's nicht beweisen."

Halt, zurück, lieber Leser, liebe Leserin, du steigst in den falschen Zug, weil du nur "Bahnhof" verstanden hast. Wenn du dich mit dieser Erwartung auf die Reise begibst, kannst du bis zum Ende der Welt und zum Jüngsten Tag fahren und noch weiter und wirst ihn nicht finden. Jesus ist mitten unter uns und in uns. Angelus Silesius, der katholisch gewordene Johannes Scheffler (1624–1677), dichtete:

"Halt an, wo läufst du hin? Der Himmel ist in dir.
Suchst du Gott anderswo, du (ver)fehlst ihn für und für."

Und so ist es auch mit dem auferstandenen Jesus. Er ist nicht automatisch in dir, sondern nur wenn du ihn einlässt. Und wenn du das tust, wirst du nicht nur blaue Wunder erleben, sondern in allen Regenbogenfarben. Und dabei kommt's sehr auf die Sichtweise an:

"Wer durch des Argwohns Brille schaut, sieht Raupen selbst im Sauerkraut" und fühlt sich von Feinden und finsteren Mächten umgeben. Der wird in ohnmächtiger Wut um sich schlagen und alles zerdeppern, während ihn Angst und Hass auffressen. Wer aber die Brille des Gottvertrauens aufsetzt, kann sich's leisten gelassen zu bleiben. Und das allein ist schon ein Wunder.

Wer keine Vorurteile hat, wird unbekümmert Sauerkraut essen. Und wenn's ihm davon schlecht wird, dann liegt's gewiss nicht an den Raupen, sondern daran, dass er kein Sauerkraut verträgt. Meine Mutter hatte ein Praktikum auf einem Bauernhof gemacht. Man warnte sie vor dem bösen Kettenhund im Hof. Als sie ihm sein Futter brachte, redete sie freundlich mit ihm. Er wedelte mit dem Schwanz und ließ sich sogar von ihr streicheln. Das war für sie eine ganz wichtige Erfahrung, wie man aus Feinden Freunde macht.

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner