Monatsspruch Juni 2022

Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn Liebe ist stark wie der Tod. (Hohelied 8,6)

Liebe Leserin, lieber Leser,

Lovesongs stehen so wenig im Gesangbuch wie Liebeslieder. Auch nicht: "Gott ist die Liebe / lässt mich erlösen. / Gott ist die Liebe, / Er liebt auch mich."

Aber "Ich bete an die Macht der Liebe, / die sich in Jesus offenbart; / ich geb' mich hin dem freien Triebe, / wodurch auch ich geliebet ward; / ich will, anstatt an mich zu denken, / ins Meer der Liebe mich versenken."

Auch in der Bibel wirst du Lovesongs vergeblich suchen, oder? Nein, das "Lied der Lieder" oder das "Hohe Lied" enthält eine Sammlung altorientalischer Liebeslieder. Was haben die in der Bibel verloren? Das haben sich schon vor 2000 Jahren die jüdischen Gelehrten gefragt, die erstmals festlegten, welche der vielen Schriften als "heilig" (wir würden sagen: als "Wort Gottes") gelten sollten. Es standen noch mehr Bücher auf der Streichliste. Ausschlaggebend war letztlich, dass in ihnen der heilige Gottesname vorkommt. Man ließ lieber ein paar unwichtige Schriften zu viel in der Bibel als eine zu wenig.

Es sind für uns ja fremdartige Bilder, die da gebraucht werden: "Dein Leib ist wie ein Weizenhaufen, umsteckt mit Lilien. Deine beiden Brüste sind wie junge Zwillinge von Gazellen… lass deinen Mund sein wie guten Wein, der meinem Gaumen glatt eingeht und Lippen und Zähne mir netzt."

"Mein Freund ist mein und ich bin sein", das klingt uns schon vertrauter. Ein altes deutsches Liebesgedicht sagt Ähnliches: "Ich bin dein, du bist mein, des sollst du gewiss sein".

Die Liebe zwischen Mann und Frau ist in der Bibel ein Bild für das spannungsreiche Verhältnis zwischen Gott und seinem Volk, wie im Volkslied: "Sie hat mir Treu versprochen, gab mir den Ring dabei. Sie hat die Treu gebrochen, das Ringlein sprang entzwei." In der Bilderwelt der Bibel läuft das untreue Gottesvolk anderen "Liebhabern" nach, betet nicht mehr zum wahren Gott, sondern zu Baal, tanzt ums Goldene Kalb, opfert dem Mammon des Wirtschaftswachstums, verheizt seine Kinder dem Moloch der Freiheit, des Nationalismus und der Gebietsansprüche - das geht ja bis heute so weiter.

Wo doch Liebe so schön sein kann, wenn Mann sich nicht mehr so wichtig nimmt und Frau recht haben darf. Wo wir aufhören Ansprüche zu stellen und stattdessen einfach füreinander da sind. "Ich will, anstatt an mich zu denken, ins Meer der Liebe mich versenken."

Und wenn wir damit ernst machen, erfahren wir Gottes Liebe. Nicht dass Gott (oder das Schicksal) immer "lieb" zu uns sein muss, sondern wir tauchen ein ins Meer der Liebe, trinken daraus, lassen uns von Gottes Liebe erfüllen und können auch andere daran teilhaben lassen.

"Gib mir Liebe ins Herz, lass mich leuchten, gib mir Liebe ins Herz, bet' ich.
Herr, du selbst bist das Licht, das erleuchtet, darum scheine du nun selbst durch mich."

Dann wird der alte Spruch wahr: " Wo die Liebe ist, da ist Gott."

Mit freundlichen Grüßen

Heinrich Tischner